„Ich packe Ihnen das Obst in die Plastiktüte, weil die Weintrauben noch ein bisschen nass sind“, sagte der Obsthändler und steckte die Äpfel, Pflaumen, Orangen, Bananen und Weintrauben in eine weiße Tüte aus so dünnem Plastik, dass man gar nicht merkte, dass man etwas zwischen den Fingern hatte, wenn man nur eine Lage anfasste. In roter Schrift prangte das Obst und Gemüse Algül-Logo darauf, bei dem die beiden ‚l‘ und das ‚gü‘ so gestaltet waren, dass sie wie die Hagia Sophia aussahen. Ob etwas derartiges in der Türkei als Blasphemie ausgelegt und Herr Algül dafür von Religionsfanatikern angegangen worden wäre? Monika wusste es nicht und die Türkei war weit weg.
Nicht mehr weit weg war der Strand, an dem Monika und ihre Familie in weniger als 24 Stunden die winzigen Körnchen an der dünnen Haut zwischen ihren Zehen würden kitzeln spüren.
„Stimmt, Plastik hält einfach! Eine der besten Erfindungen aller Zeiten“, sagte Monika lachend. Hätte sie geahnt, was sie am nächsten Abend am Strand entdecken würden, hätte sie diesen Satz sicher nicht gesagt.
„Ja, das stimmt. Dann einen schönen Urlaub!“, sagte Herr Algül und winkte mit der Hand zum Abschied.
„Danke“, sagte Monika und verließ den Laden.
Armee der Plastiktuben
Bevor sie nach Hause fuhr, besorgte sie noch Sonnencreme, eine Tube Fleckentferner und Kosmetikartikel in Reisegröße, die sie ins Handgepäck packen würde, falls der Koffer nicht mit ihnen am Urlaubsort ankommen sollte. Nach all den Berichten über verspätete oder verlorene Koffer hatte man das Gefühl, eher im Lotto zu gewinnen, als mit allen Koffern am Urlaubsort anzukommen.
Wie eine Armee kleiner bunter Plastiksoldaten standen die kleinen Tuben und Fläschchen aufgereiht auf der Kommode, bevor Monika sie in einen Gefrierbeutel mit Zipverschluss packte, um bei der Sicherheitskontrolle keine Probleme zu bekommen.
„Kannst du mir bitte noch drei alte Einkaufstüten bringen?“, rief Monika zu Holger in die Küche.
„Wo sind die?“
„In dem Fach über dem Kühlschrank“
„Wieso haben wir mehr Einkaufstüten als ein Discounter?“, fragte Holger, als er wenige Augenblicke später zu Monika ins Schlafzimmer kam.
„Ach, man kann nie genug Plastiktüten haben“, sagte sie. Hätte Monika gesagt, dass sie am nächsten Tag einen Marathon gegen Chewbacca und Kermit der Frosch laufen würde, Holger hätte nicht ungläubiger gekuckt, blieb aber stumm wie ein Kartäuserbruder.
Nur die harten kommen in den Plastikgarten
„Was hast du denn gemacht?“, fragte Monika, als sie Florian sah, der mit zwei aufgeschürften Knien nach Hause kam.
„Ach, wir haben heute auf den Kunstrasenplatz trainiert. Wenn du da rutschst, schürfst du dir sofort alles auf. Das Plastikgranulat wirkt wie Schleifpapier.“
„Brauchst du Pflaster?“
„Ja, wäre gut. Sonst bleibt wieder die Hose dauernd kleben.“
Monika lief schnell ins Badezimmer, holte die Tüte mit den Pflastern. Florian hatte sich unterdessen auf die Couch gesetzt. Monika setzte sich neben ihn, nahm ein Pflaster aus der Verpackung, zog die beiden Plastikstreifen von der Rückseite ab und klebte das Pflaster auf Florians Knie. Da der eine Pflasterstreifen die Wunde nicht ganz bedeckte, klebte Monika überkreuz einen zweiten darüber. Das Gleiche machte sie auf der anderen Seite. Mit den beiden Pflasterkreuzen auf seinen langen dürren Teenagerbeinen sah Florian aus wie eine Comicfigur. Um ihn nicht zu ärgern, verkniff sich Monika einen lustig gemeinten Spruch.
„Kannst du so überhaupt an den Strand?“
„Auf jeden Fall! Nichts kann mich vom Strand fernhalten.“
„Aber das Salzwasser wird in den Wunden brennen.“
„Ach, das halt ich schon aus.“
„Im schlimmsten Fall bekommst du Plastikstrümpfe, die bis zu deinen Oberschenkeln gehen“, sagte Monika mit einem spöttischen Zwinkern.
„Klar, damit ich wie eine Transe mit Plastikstrapsen aussehe.“
Monika boxte Florian leicht gegen den Oberarm. „Ach, sag nicht so Zeug.“
„Du hast doch angefangen“, sagte Florian lachend.
Plastik am laufenden Band
„Mama, sollen wir unsere Koffer auch so einwickeln lassen?“, fragte Sophie und zeigte auf die Foliermaschiene neben der Gepäckabgabe, mit der gerade die Koffer einer Familie eingewickelt wurden, bis sie aussahen wie zu eckig geratene Dönerspieße.
„Das brauchen wir nicht, wir haben ja ganz normale Koffer.“
„Aber die doch auch.“
„Vielleicht haben sie Angst, dass die Koffer aufgehen, weil sie so viel Gepäck haben.“
„Dann brauchen wir das auf dem Heimflug, wenn ihr beide wieder so viele superschöne Souvenirs von fliegenden Händlern kauft“, sagte Holger und drückte Monika einen Schmatz auf die Wange.
„Das sind keine Souvenirs, das sind Accessoires. Sonnenbrillen, Armreifen, Haarklammern, Ohrringe. Es muss doch immer alles zum Outfit passen. Das verstehst du nicht, weil du ein Mann bist. Auch wenn wir das natürlich nur für euch Männer machen“, sagte sie und klimperte mit den Augen als wäre sie ein Mascara-Modell beim Shooting.
„Yap, ich versteh auch nicht, wieso man diesen ganzen Krempel braucht“, pflichtete Florian bei. „Und für mich muss eine Frau sowas nicht machen.“
„Naja, wart noch ein, zwei Jahre“, sagte Monika grinsend.
„Was heißt hier warte noch?“, fragte Florian mindestens mit der gleichen Entrüstung, mit der ein erzkatholischer Priester auf Geschichten über Homosexualität reagiert.
„Lasst uns gleich durch die Sicherheitskontrolle geben, dann können wir uns noch gemütlich einen Kaffee kaufen, wenn wir am Gate warten“, sagte Holger, womit er Monika geschickt aus dem Minenfeld der aufkeimenden Männlichkeit ihres Sohnes manövrierte.
„Oh ja, Kaffee brauche ich!“, stimmte Monika zu.
Plastikgadget vs. Flugsicherheit
„Ist das ihr Koffer?“, fragte der Mitarbeiter hinter der Gepäckdurchleuchtung.
„Ja“, sagte Monika unsicher. Hatte sie doch etwas Verbotenes dabei?
„Kommen Sie bitte kurz mit mir zur Seite, ich muss Ihren Koffer öffnen“, sagte der Mann, wobei die Schwingung in seiner Stimme einem straff gespannten Seil entsprach.
Als Monika vor ihm stand, streifte sich der Mann zwei lila Einmalhandschuhe über, öffnete mit einer routinierten Handbewegung den Reisverschluss und klappte den Koffer auf. Monika fühlte sich wie beim Warten auf das Ergebnis der Alkoholkontrolle, wenn man mit dem Auto angehalten wurde. Obwohl man wusste, dass man nicht zu viel getrunken hatte, war man sich nie ganz sicher, ob das Gerät das auch wusste.
Gezielt suchte er in der rechten oberen Ecke und zog nach wenigen Sekunden einen länglichen blauen Plastikstab mit abgerundeten Ecken heraus.
„Was ist das?“, fragte er. Monika spürte eine Erleichterung, als hatte man ihr den großen Koffer, den sie aufgegeben hatten, endlich von den Schultern genommen. Sie lächelte verlegen, streckte vorsichtig die Hand aus und sagte:
„Das ist ein Reiseventilator. Darf ich es Ihnen zeigen?“ Der Mann zog die Augenbrauen zusammen, reichte ihr den Plastikstab und sagte:
„Bitte.“
Monika nahm den Stab, drückte einen kleinen Knopf, woraufhin der Plastikstab auseinanderklappte und sich an der oberen Seite drei Rotorblätter entfalteten. Sie drückte einen weiteren Knopf und der Rotor begann sich zu drehen. Ihre Haltung entsprach nun der der Verkäuferin bei einer Tupperparty, die gerade voll Inbrunst und Leidenschaft eine Must-Have-Errungenschaft wie die Bananendose in Bananenform oder den Eiertrenner vorstellt und sich wundert, warum ihr Publikum die Begeisterung nicht teilt.
Demonstrativ richtete sie den Ventilator auf sich. Als sie ihn auf den Sicherheitsmitarbeiter richten wollte, hob dieser ungerührt wie eine britische Palastwache die Hand und sagte:
„Schon gut. Sie können gehen.“
„Danke“, sagte Monika ein wenig enttäuscht, dass der Kontrolleur nicht faszinierter auf ihr total praktisches Gadget reagierte, packte alles wieder in den Handgepäckkoffer und ging zu ihrer Familie, die das Schauspiel aus sicherer Entfernung beobachtet hatte.
„Ich hab Hunger“, sagte Sophie so quengelig, dass sie in einer Schokoriegelwerbung als abgehalfterte Diva dargestellt worden wäre.
Nahrung nah am Plastik
„Möchtest du ein Sandwich mit Schinken, Truthahn oder Mozzarella?“, fragte Holger Sophie als sie vor dem italienischen Imbissstand warteten.
„Mozzarella natürlich!“, sagte Sophie so entrüstet als hätte Holger gefragt, ob sie statt des Mozzarellas Erbrochenes oder Babyschenkel essen wollte. Seit sie eine Doku über Schlachthäuser in der Schule gesehen hatte, reagierte sie immer so.
„Zwei Kaffee, zwei Apfelschorlen, zwei Mozzarellasandwiches, ein Salamisandwich und eins mit Truthahn, bitte“, sagte Holger zum Kassierer.
„Alles?“, nuschelte dieser. Holger nickte und sagte:
„Mit Karte, bitte.“
„Sie dürfen“, sagte der Kassierer und zeigte mit der Hand auf das Kartenlesegerät. Holger legte die Plastikkarte auf und wartete auf den Signalton.
Unterdessen richtete der Kassierer die Bestellung auf ein Plastiktablett, das mit seinen abgeschlagenen Ecken und Schleifspuren, aus denen Plastikfransen hochstanden, den ohnehin nicht zum Speichellaufen aussehenden Sandwiches das letzte Bisschen Appetitlichkeit. Holger trug das Essen zum Tisch, den Monika und Florian bereits besetzt hatten und gab jedem seine Bestellung.
Mit einem lauten Zischen drehte Florian die PET-Flasche auf und trank sie in einem Zug fast zur Hälfte aus, wodurch diese ein knistern wie ein schmelzender Gletscher von sich erzeugte.
„Nicht so hastig“, sagte Holger.
„Sorry, aber ich war am Verdursten“, antwortete Florian und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
Sophie riss die Verpackungsfolie auf, nahm ihr Mozzarellasandwich heraus und biss erwartungsvoll hinein wie der Eberhofer Franz in eine Leberkässemmel (Sophie hätte natürlich nicht in eine Leberkässemmel gebissen, höchstens in eine vegane).
„Tomaten und Mozzarella schmecken wie die Verpackung“, sagte sie und verzog das Gesicht.
„Woher weißt du, wie die Verpackung schmeckt?“, fragte Monika.
„Na, nach Plastik halt“, sagte Sophie. „Probier mal.“ Monika biss in ihr Mozzarellasandwich.
„Ich find’s gar nicht so schlecht“, sagte sie. Gut, das Sandwich war jetzt nicht das beste Essen, das sie je hatte, aber was sollte man von einem Flughafenimbiss erwarten. Süß, salzig, satt – das reichte Monika.
„Na, dann lass dir deinen Plastikkäse schmecken!“, sagte Sophie und schob ihr halb gegessenes Sandwich von sich weg.
Smarticular (Hg.): Plastiksparbuch
Plastikmüll, der sich zu Millionen Tonnen in der Umwelt anreichert, gehört zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Dabei ist gesundheitsschädliches oder kurzlebiges Plastik fast immer leicht vermeidbar! Alle wichtigen Fakten rund um Plastik und die Probleme, die es verursacht, haben wir im Plastiksparbuch zusammengestellt, zusammen mit über 300 Anleitungen und Ideen für sinnvolles Plastiksparen im Alltag.
Nützliches in Plastikfolie
Beim Boarding verteilte die Stewardess mit einem professionellen Barbiepuppenlächeln kleine mit dem Logo der Fluggesellschaft bedruckte Karamellbonbons. Holger wickelte noch auf dem Weg zu ihrer Sitzreihe die Plastikfolie vom Bonbon, steckte es in den Mund und schloss genießerisch die Augen.
„Du weißt schon, dass die für den Start sind?“, sagte Monika.
„Wieso für den Start?“, fragte Holger, wobei er nur nuschelnd sprechen konnte mit dem großen Bonbon im Mund.
„Das Lutschen hilft den Druck in deinen Ohren auszugleichen, wenn das Flugzeug in die Höhe steigt.“
„Okay, dann lutsche ich ganz langsam“, sagte Holger grinsend.
„Wow, kuckt mal, es gibt sogar Kuscheldecken“, rief Sophie und wedelte mit ihrer noch eingepackten Decke vor den Augen der anderen herum. „Darf ich die nachher mitnehmen?“
„Nein, die werden mehrfach verwendet. Nach der Reinigung werden sie wieder in Plastikfolie verpackt, damit du weißt, dass sie sauber ist.“
„Okay, aber zumindest hier habe ich’s dann kuschelig“, grinste Sophie, während sie die ausgepackte Wolldecke um sich wickelte als würde sie sich wie eine Raupe verpuppen. Die Plastikfolie stopfte sie wieder in das Fach an der Rückenlehne des Vordersitzes.
Plastikmeer an Land
„Schau mal Mama, wie klein die Häuser schon sind“, sagte Sophie kurze Zeit nach dem Start.
„Ja, sieht aus wie bei einer Modelleisenbahn“, sagte Monika.
„Nur dass Menschen nicht aus Plastik sind.“
„Manche zum Teil schon“, sagte Holger grinsend.
„Möchten Sie Wasser?“, fragte die Stewardess und reichte Monika und Sophie jeweils eine kleine Wasserflasche.
„Gerne, danke“, sagte Monika und nahm die Flaschen.
„Nur 200 Milliliter. Ich hoffe, es gibt noch Nachschub“, sagte Florian.
„Falls nötig kaufen wir etwas. Es gibt ja auch den Boardverkauf“, sagte Holger.
„Dann will ich aber lieber eine Cola“, sagte Florian.
„Und ich Apfelsaft“, rief Sophie.
Quelle: scinexx.de das wissensmagazin: Umwelt. Eine Landschaft aus Plastik
Um aufkeimenden Unmut zu vermeiden, winkte Holger die Stewardess herbei und fragte, ob sie die gewünschten Getränke bereits jetzt bekommen könnten. Wenige Augenblicke später brachte die Stewardess kleine Plastikbecher. Skeptisch betrachtete Florian den Becher, der so dünn war, dass es einem Kunststück glich, ich weder zu zerdrücken noch fallen zu lassen.
„Ist das Kindercola?“, fragte er.
„Wieso Kindercola?“, fragte Monika.
„Na, weil die so klein ist.“
„Der Preis ist eher Luxuscola“, sagte Holger, als er sein Plastikgeld und den Zahlungsbeleg in seine Hemdtasche steckte.
Alles frisch dank Plastik
„Möchten sie Rindergulasch mit Nudeln oder eine Gemüsepfanne?“, fragte die Stewardess, die das Essen verteilte. Monika und Sophie bestellten die Gemüsepfanne, Holger und Florian das Gulasch. Jeder erhielt ein steingraues Plastiktablett mit einer kleinen Aluschale in der Mitte. Daneben befanden sich eine kleine Plastikschüssel mit Salat, die nochmals in Folie gepackt war, damit nichts herausfiel sowie ein kleiner Kuchen, der auf dieselbe Art verpackt war. Das ganze erinnerte an Astronautenessen aus Siebzigerjahre Sience Fiction Filmen.
Florian öffnete die Folie, in der sich Serviette und Besteck befanden, zog das Plastikmesser heraus, betrachtete es, fuhr mit dem Daumen über die Schneide und sagte:
„Ich hoffe, das Fleisch ist klein. Was soll ich damit schneiden?“, fragte er.
„Soll ich dir helfen, mein Kleiner?“, fragte Monika mit einer Stimme wie Omas, die nur mit ‚Dutzi Dutzi‘, ‚A A‘ und ‚Wau Wau‘ zu Babys sprechen.
„Nein, danke. Ich komm schon zurecht“, antwortete er und schob sich das erste Stück Fleisch in den Mund. „Schmeckt.“
„Ja, kann man essen“, bestätigte Holger. „Wie ist euer Gemüse?“
„Naja, al dente ist es nicht mehr, aber geschmacklich okay“, antwortete Monika. „Der Salat ist nicht schlecht.“
„Dann kannst du meinen auch haben“, sagte Florian und reichte ihr die Plastikschüssel und das kleine Tütchen mit dem Dressing.
„Der würde dir auch nicht schaden“, sagte Monika, als sie den Salat nahm.
„Ich muss doch auf meine Sportlerfigur achten“, sagte Florian grinsend und rieb mit der Hand über seinen Bauch.
„Und ich nicht, oder was?“, fragte Monika mit der gleichen Geste, wobei sie deutlich mehr zu reiben hatte.
„Hast du eine Sportlerfigur?“, fragte Florian lachend.
„Sei nicht so frech, junger Mann“, sagte sie gespielt streng und drohte mit dem Zeigefinger.
„Dann klink ich mich jetzt mal lieber aus, bevor ich noch ernsthaft Ärger bekomme“, sagte Florian, riss das Plastiktütchen mit den Kopfhörern auf, stöpselte diese ein und suchte über die Bedienknöpfe in der Plastikverkleidung des Sitzes vor sich einen Film.
„Feigling“, sagte Monika und schnaubte wie Clint Eastwood, wenn dessen aus Angst das Weite gesucht hatte.
Obst unter dem Plastikgletscher
„Mama, da unten liegt Schnee!“, rief Sophie und klopfte Monika aufgeregt auf den Arm als würde sie eine Bongotrommel spielen.
„Ach, Sophie. Schnee? Wir haben doch Sommer und wir sind gerade nicht über den Bergen“, antwortete Monika.
„Aber schau doch, da ist alles weiß!“
Monika beugte sich über ihre Tochter, um besser aus dem Fenster blicken zu können. Tatsächlich war unter ihnen alles weiß. Monika stutze, selbst überrascht von dem Anblick.
„Das sind Folien“, sagte sie dann. „Weiße Folien.“
„Und warum ist das ganze Land mit Plastik bedeckt?“
„Das sind Gewächshäuser“, sagte Monika. „Aber du hast Recht, man könnte meinen, es ist Schnee. Und es ist Wahnsinn, wie viele da stehen.“
„Naja, von hier wird ein guter Teil Europas mit Tomaten und Gurken versorgt“, sagte Holger.
Charlotte Schüler: Einfach plastikfrei leben
Ob zu Hause, im Büro oder auf Reisen: Wir benutzen ständig Plastik und produzieren viel zu viel Müll. Charlotte Schüler hatte vor einigen Jahren genug von diesem unachtsamen Umgang mit unserem Planeten und lebt seitdem (nahezu) plastikfrei. Ihren nachhaltigen Alltag dokumentiert die junge Münchnerin mit großem Erfolg auf ihrem Blog und in den sozialen Medien.
„Und wozu die Gewächshäuser? Hier ist es doch warm“, sagte Monika.
„Warm ja, aber auch trocken. Unter dem Plastik kann man leichter ein fast tropisches Klima erzeugen, indem das Gemüse gut wächst.“
„Das erklärt, warum das Gemüse oft nach Plastik schmeckt“, sagte Monika lachend.
„Ich weiß nicht, ob es da einen direkten Zusammenhang gibt.“
Sophie beugte sich vor, blickte ihren Vater fragend an und sagte: „Papa, das war ein Witz!“ Dabei fasste sie sich mit der Hand an die Stirn.
„Danke, meine Tochter“, sagte Monika und lächelte zufrieden in sich hinein wie ein Kind, das noch ein Bonbon in einer schon leer geglaubten Süßigkeitentüte gefunden hat.
Plastikkreislauf mal anders
„Ah, jetzt ist Urlaub!“, sagte Monika und saugte ein erstes Mal genüsslich an dem schwarzen Plastikstohhalm in ihrem Aperol Spritz, den sie sich zum Abendessen bestellt hatte, während die Kinder sich noch ihre Cola aus den Plastikflaschen in die bis oben hin mit Eiswürfeln gefüllten Gläser kippten.
„Wollen wir nicht gemeinsam trinken?“, fragte Holger und hob sein Bierglas als Aufforderung zum Anstoßen.
„Entschuldigt, auf einen schönen Urlaub!“, sagte Monika.
„Auf einen schönen Urlaub“, sagte Holger. Alle stießen an und tranken als hätten sie erlesensten Champagner in ihren Gläsern.
„Wusstet ihr, dass es hier drei Kirchen gibt, die alle im Mittelalter erbaut wurden? Eine davon sogar vor über tausend Jahren. Die müssen wir besuchen“, sagte Holger.
„Ne, Dad. Strandurlaub war das Motto!“, sagte Florian.
„Ja, schon, aber ihr wollt doch nicht eine ganze Woche nur am Strand liegen, oder?“
„Doch, genau das. Einfach chillen!“, sagte Florian.
„Aber nur Strand ist doch langweilig!“
„Stimmt, deswegen gehen wir auch ins Meer!“, warf Sophie ein.
Da Monika wusste, dass die Diskussion sich wie ein Kinderkarussell auf dem Rummel mit der immergleichen Melodie ständig weiter um sich selbst drehen würde, klinkte sie sich geistig aus der Unterhaltung aus und genoss den Blick auf die untergehende Sonne, deren Farbe sich zunehmend dem kräftigen Orange ihres Getränks anpasste. Dabei kam sie nicht umhin, die Unterhaltung des Paares am Nebentisch mitzuhören.
Der Mann mochte knapp über sechzig sein, trug blaue Segelschuhe ohne Socken und eine beige Chinohose, die seine leicht gebräunten Beine zeigte, auf denen erste Altersflecken und Besenreiser zu erkennen waren. Das farblich zu den Schuhen passende Sakko hatte er zum Essen über die Stuhllehne gehängt, die Ärmel seines weißen Hemdes waren aber mit Manschettenknöpfen zugeknöpft, in die die Buchstaben ‚T‘, ‚G‘ und ‚J‘ eingraviert waren.
Seine Frau sah ein paar Jahre jünger aus. Ob sie es tatsächlich war oder ob dies das Ergebnis eines guten Chirurgen war, ließ sich nicht eindeutig entscheiden. Dass Körper nicht mehr dem entsprach, was Mutter Natur ihr mitgegeben hatte, sehr wohl. Sie trug weiße Ledersandalen mit goldenen Verzierungen, ein knielanges weißes Kleid, dazu eine Perlenkette und passende Ohrringe. Zusammen wirkten sie wie die Unternehmergattin aus Sturm der Liebe, die sich zum Traumschiffkapitän verlaufen hatte.
Zunächst hatte Monika die Unterhaltung der beiden eher als zusätzliches Hintergrundrauschen neben dem sanft hin und her wogenden Meer wahrgenommen, bis sie hörte, wie die Frau sagte:
„Du willst doch nicht den Seeteufel essen, oder?“
„Eigentlich hatte ich schon daran gedacht“, antwortete er.
Wieso sollte der Mann keinen Seeteufel essen? Fisch war doch gesund. Bevor Monika sich weiter darüber Gedanken machen konnte, ließ die Frau sie indirekt an ihrem Wissen teilhaben.
„Seeteufel ist doch einer der Fische mit der höchsten Quecksilberbelastung. Und wer weiß, welche Schwermetalle und sonstige Schadstoffe sonst noch enthalten sind.“
„Aber die werden doch kontrolliert“, sagte der Mann mit einer Stimme wie der Bundespräsident bei der Neujahrsansprache.
„Ja, bei uns zu Hause vielleicht, aber hier?“, sagte die Frau und machte eine unbestimmte Kreisbewegung mit ihrer Hand, wobei sie einen Gesichtsausdruck machte, als würde ein Obdachloser, bei dem man schon über mehrere Meter riechen konnte, dass er schon länger keine Waschgelegenheit mehr gehabt hatte, versuchen sie zu umarmen.
„Gut“, sagte der Mann. „Dann nehme ich die Jakobsmuscheln. Da habe ich neulich gelesen soll die Belastung gering sein.“
Die Frau schüttelte tadelnd den Kopf, wie eine Lehrerin, deren Ungeduld beim Abfragen eines Schülers exponentiell zunimmt, so wie das Ergebnis der Gleichung, die er zu lösen hätte.
„Aber Muscheln enthalten doch riesige Mengen Mikroplastik.“, sagte sie. „Bei Fischen bleibt das Mikroplastik hauptsächlich im Verdauungstrakt. Bei den Muscheln isst du es zwangsläufig mit.“
„Gut, dann vielleicht doch Rindfleisch“, sagte der Mann mit der Schicksalsergebenheit eines geschlagenen Samurai.
„Du sollst doch auf dein Cholesterin achten, Schatz.“
Bevor Monika die von der Frau als zulässig eingestuften Lebensmittel in Erfahrung bringen konnte, spürte sie ein Klopfen auf ihrem linken Unterarm. Sie blickte zu Sophie, die auf den Kellner zeigte, der mit Notizblock, Stift und einem professionellen Lächeln neben ihr stand und auf ihre Bestellung wartete. Wie ein Kampfpilot das Zielgebiet sondierte Monika die Karte. Fisch? Nein! Meeresfrüchte? Nein! Steak? Nein!
„Die Tagliatelle mit saisonalem Gemüse, bitte“, sagte sie mit dem Lächeln eines Kindes, das endlich den Schließmechanismus einer Geheimschatulle geknackt hatte.
„Sehr wohl“, sagte der Kellner, nickte und ging in Richtung Küche.
„Was, kein Fisch?“, fragte Holger.
Monika schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe heute eher Lust auf vegetarisch.“
„Das ist toll, Mami“, sagte Sophie grinsend und umarmte ihre Mutter.
Obwohl sie den zartsalzigen Umamigeschmack von Fisch, der das Meer vor ihr auch noch auf ihren Gaumen gebracht hätte, doch ein wenig vermisste, genoss sie ihre Pasta. So schmeckte sie zwar nicht das Meer, aber die Sonne des Südens dafür um so intensiver in den Zucchini, Paprika, Auberginen und Artischocken, die sich mit der leichten Tomatensoße herrlich an die Nudeln schmiegten. Und das ganz ohne Bedenken wegen Quecksilber, Mikroplastik oder dergleichen. An das Plastikland der Gewächshäuser dachte sie in diesem Moment nicht mehr.
Die Plastikpyramide
„Die machen gerade erst auf“, sagte Florian, als sie am nächsten Morgen um 08:00 Uhr zum Frühstück kamen. „Und ihr Folterknechte reißt mich mitten in der Nach aus dem Bett!“
„Sieben Uhr ist doch nicht mitten in der Nacht“, entgegnete Holger. „Außerdem ist doch schon offen.“
„Ja, aber alles ist noch unter Plastikfolie.“
„Schau, da kommen die Kellner und decken alles ab. Jetzt beruhigt?“, fragte Monika. Schweigend schlurfte Florian in Richtung Buffet.
„Du weißt schon, dass wir nicht in Ägypten sind, oder?“, fragte Holger, als Florian mit seinem Teller zum Tisch kam. Dieser sah ihn an, wie er seinen Mathelehrer ansah, als sie Vektorengleichungen durchnahmen.
„Weil du so eine große Pyramide auf deinem Teller hast“, fügte Holger hinzu und zeigte auf das dreistöckige Gebilde auf Florians Teller.
„Naja, das sind zwei Marmeladen, zwei Nutella, zwei Honig und drei Butter. Für zwei Semmeln halt.“
„Und die gibt’s nur so?“
„Ja, alles einzeln verpackt. Dahinten“, sagte Florian und zeigte in die Ecke des Buffets, in der sechs durchsichtige Plastikschüsseln aufgestellt waren, die alle mit unterschiedlichen kleinen Plastikschälchen gefüllt waren.
„Mmhh, den Kuchen müsst ihr probieren“, unterbrach Monika die Unterhaltung der beiden. „Der schmeckt wirklich klasse!“
„Welcher ist das?“, fragte Holger.
„Der Zitronenkuchen. Hier“, sagte Monika und reichte Holger die Plastikverpackung, in die der Kuchen verpackt war.
„So einen möchte ich auch“, sagte Sophie, die gerade die Reste ihres Erdbeerjoghurts aus dem Becher kratzte. Wenig später kam sie mit einem Kuchenstück und zwei einzeln verpackten Schokocookis zurück. Holger hob gerade die Hand als wollte er protestieren, war durch das Zahnarztbiberlächeln seiner Tochter aber offenbar so entwaffnet, dass er nur seufzte und ihr mit der Hand über den Kopf strich.
„Ein größerer Tischabfall würde nicht schaden“, sagte er, als er verzweifelt versuchte, die Verpackung seines Kuchenstücks so in das Halblitergefäß mit Schwingdeckel zu stecken, dass nicht einer der Marmeladenbehälter auf der anderen Seite herauspurzelte.
Bevor sich Holger weiter als Stapelkünstler versuchen konnte, kam der Kellner und tauschte den Tischabfalleimer gegen einen frischen aus. Der Gedanke, dass es besser wäre, das Frühstück so zu servieren, dass der Tischabfall nicht überfrachtet wird, schien weder beim Personal noch bei der Hotelführung jemals aufgetaucht zu sein. Diesbezüglich schwammen sie mit Monika und ihrer Familie auf einer Welle.
Christoph Schulz: Plastikfrei für Einsteiger
In Folie verpacktes Gemüse, Duschgelpackungen und Plastikpfannenwender – überall begegnet uns Plastik im Alltag, meist völlig unnötig. Unserer Erde zuliebe darauf zu verzichten, erscheint aber oft als sehr aufwendig und kompliziert. Doch der engagierte Umweltaktivist Christoph Schulz beweist, dass ein plastikfreies Leben viel leichter ist, als viele glauben.
Glasoptik und Plastikklang
„Mama, krieg ich ein Eis?“, rief Sophie, die wie ein nasser Hund tropfend vom Pool auf Monika, die die Ruhe der Sonnenliege genoss, zu rannte.
„Ich möchte auch eins!“, rief Florian, der knapp hinter seiner Schwester angelaufen kam.
„Gut, aber nur, wenn ihr mir einen Virgin Colada mitbringt“, sagte Monika.
„Und mir ein Bier!“, warf Holger noch ein.
Wenige Minuten später kamen die Kinder wieder, jeder einen Plastikbecher mit vier Kugeln Eis, Sahne, Schokosoße und Waffeln in der einen und jeweils ein Getränk für die Eltern in der anderen Hand.
„Ich glaube beim nächsten Mal müssen wir vorher festlegen, wie groß ein Eis ist“, sagte Holger.
„Ach Schatz, wir haben Urlaub. Genieß dein Bier“, sagte Monika und zog an ihrem Virgin Colada, der sie sofort auf eine einsame Südseeinsel beförderte, mit braungebrannten Männern, deren Sixpack nichts mit Bier zu tun hatte.
Holger betrachtete den Bierkrug, an dessen Seiten sich feine Wasserperlen gebildet hatten, die im Sonnenlicht funkelten und von denen Einzelnen langsam nach unten liefen und eine Spur der Kühle und Frische hinterließen. Er klopfte mit seinem Ehering dagegen.
„Erstaunlich“, sagte er. „Sieht echt aus wie Glas, ist aber Plastik.“
„Stimmt, meins auch“, sagte Monika. „Wahrscheinlich, damit es hier keine Scherben gibt, am Pool.“
„Mmmhhh“, brummte Holger und nahm einen weiteren Schluck seines Bieres. „Trotz Plastik kann man einen wunderbaren Urlaub haben.“
Konnte man das?
Plastiküberraschung beim Abendspaziergang
„Wisst ihr, was ich mir wünsche?“, fragte Monika, nachdem alle ihr Abendessen beendet und auch die Nachspeisen bis zum letzten Löffel gegessen waren, nur um die Antwort gleich selbst zu geben:
„Ich möchte noch einen Abendspaziergang im Sonnenuntergang machen. Mit der ganzen Familie!“
„Ach, Ma“, sagte Florian und seufzte theatralisch. „Muss das sein?“
„Ich finde das eine tolle Idee! Ich freue mich schon so aufs Meer!“, sagte Sophie.
„Na komm“, sagte Holger zu Florian und klopfte ihm auf die Schulter. „Das schaffst du.“ Florian verdrehte die Augen und stemmte sich aus seinem Stuhl als wäre er ein Pflegebedürftiger, der nur noch mit seinem Rollator mobil ist.
„Schaut, da ist eine Eidechse“, rief Sophie begeistert.
„Wo?“, fragte Holger und blickte um sich.
„Na da, unter dem Plastikstuhl.“
„Ja, jetzt seh ich sie. Die ist ganz schön groß.“
„Herrlich, der feine Sand, die Wellen, das Rauschen des Meeres“, sagte Monika.
„Wenn wir schon gehen, will ich wenigstens im Wasser gehen“, sagte Florian und zog schon Schuhe und Socken aus. Der Rest der Familie tat es ihm gleich. Schritt für Schritt hinterließen sie ihre Spuren im feuchten Sand, die spätestens mit der übernächsten Welle schon wieder zu bloßer Erinnerung im Gedächtnis des Planeten wurden. Allerdings verschwand nicht alles, was Menschen erzeugten, so schnell wie Fußspuren im Sand.
„Wow, seht euch diesen riesigen Schwarm Möwen an“, sagte Holger und zeigte nach oben auf eine Wolke aus Vögeln, die über ihnen kreiste wie eine Kunstflugstaffel beim großen Finale. Als sie alle nach oben blickten und das kunstvolle Fliegen der Vögel vor dem sich ins Violett verschiebenden Himmel betrachteten, stieß Monika mit den Zehen ihres rechten Fußes an etwas Hartes, das außen fransig flauschig war. Sie blickte nach unten und sagte unwillkürlich:
„Oh mein Gott!“
„Was ist?“, fragten Holger und Florian gleichzeitig und schauten sie fragend an, doch Monika brachte kein Wort hervor.
Sophie schrie laut und schrill auf, als hätte man ihr ein Messer in den Bauch gerammt. Sie drehte sich um, drückte ihr Gesicht an Monikas Brust und umklammerte ihre Mutter so fest sie konnte. Nun sah die ganze Familie, was bei Monika und Sophie einen solchen Stich versetzt hatte. Vor ihnen lag ein toter Albatros, der Bauch aufgeplatzt wie eine reife Melone, die auf den Steinboden fallen gelassen wurde. Allerdings waren keine Organe und Gedärme im offenen Tierkörper zu sehen, sondern Plastikteile in allen Farben, die die Kunststoffindustrie zu bieten hat. Einige waren sogar noch deutlich zu erkennen. Ein neongrünes Feuerzeug, ein roter Schraubenziehergriff und der orangefarbene Deckel einer Getränkeflasche. Kleinere Plastikteilchen leuchteten fröhlich wie Konfetti bei einer Fastnachtsfeier drum herum. Die ewig währende Heiterkeit der Plastikwelt. So praktisch, so langlebig, so beständig.