Gedichte von Stefan Landgraf

Ende
Gestern nahmest du
deinen letzten Atemzug
viel zu früh,
ging dein Leben jäh zu Ende.
Der Körper leblos
getragen bei vier Mannen
erwartungsvoll die Tiefe
ausgehoben war die Erd‘.
Schaufel um Schaufel
decken sie dich zu
beten noch ein letztes Mal
wünschen dir ewige Ruh.
Tränen sind vergossen,
kein Kinn mehr davon tropft
nur der Regen ist geblieben
am Ende.
Am Ende – ist der Regen
locker ist die Erd‘
Tropfen fallen nieder
sickern in die Tiefe.
Käfer, Würmer, Larven,
der Körper voller Leben
weggetragen Stück um Stück
nichts bleibt, alles fort.
Gestern noch der Atem
Tiere, Pflanzen, Luft
kein Ende, nichts bleibt
in der Gruft.
Nach unten
Wo zieht es mich hin?
Nach vorne, nach hinten,
nach links, nach rechts.
Nach unten
Ich klettere, von Ast zu Ast
immer höher, immer höher
der Wind bläst,
die Sonne brennt
genieße die Sicht
wo zieht es mich hin?
Nach unten
Ich falle
Über den Bach,
durch den kühlen Wald,
Schritt um Schritt
immer steiler wird der Weg
immer höher, immer höher
den Berg hinauf
in Richtung Gipfel
keine Bäume mehr
nur Fels, Höhe, Himmel
wo zieht es mich hin?
Nach unten
Ich falle
Ein Schritt, ein zweiter, ein dritter
immer schneller
Ich lauf, ich laufe
Am Abgrund
die Flügel
sie tragen mich
hinauf, hinauf zu den Wolken
immer höher, immer höher
empor in höchste Höhen
ich schwebe, ich fliege
über allen
bin oben
ganz oben
wo zieht es mich hin?
Nach unten
Ich falle
Ich falle
Dem Aufstieg folgt der Fall
Kein Aufstieg währt ewig
Stets zieht es mich
nach unten
Und doch
höre ich nie auf
aufzusteigen
immer weiter!
Welt und Beobachter
Bin ich ein Beobachter?
Setze ich eine Unterscheidung?
Oder sind die Unterscheidungen
in der Welt?
und ich erkenne sie bloß?
Bin ich ein Erkenner?
Gibt es in der Welt Unterscheidungen,
oder ist die Welt homogen?
Eine Ansammlung von Atomen,
Form gewordene Energie –
die Welt, nur Energie
Energie ohne Unterschied.
Der Unterschied kommt
durch den Beobachter.
Woher kommt der Beobachter?
Ist der Beobachter auch unterschieden?
Wer beobachtet dann ihn?
Der Tag
Der Morgen
kommt
nur langsam
übers Land
ganz langsam
wird es Licht
im Osten.
Wie eine Blüte
entfaltet sich der Tag
wird heller, wärmer, farbenfroher
weckt Pflanzen, weckt Tiere
entfaltet seine ganze Pracht
erstrahlt in voller Blüte
Nimmt ab
ganz langsam
geht das Licht
sagt gute Nacht
im Westen.
Werden und Vergehen
Werden
Werden und Vergehen
Vergehen
Werden ist Leben
Stillstand ist Tod
Tod
Tod ist Vergehen
Vergehen ist Werden
Werden ist Leben
Tod ist Leben
Vergehen ist Werden
Die Erde
Runde um Runde
Dreht sie sich um die Sonne,
wo Schatten ist,
wird wieder Licht sein.
Blau und grün,
braun und weiß,
Wasser, Sand, Gestein,
Feuer und Luft.
Auf und unter der Erde,
im Wasser und in der Luft,
alles ist erfüllt,
von Leben. Von Leben.
Leben im Gleichgewicht,
im wundersamen Gleichgewicht.
Im wunder samen Gleichgewicht
von Werden und Vergehen.
Ich bin liebenswert
Manchmal scheint es mir
Als wär‘ ich nicht genug
Bin bedrückt und trübsinnig
Zuversicht – gefühlt Betrug
Selbstkritik und Zweifel
Allgegenwärtig, immer da
Scheitern und Versagen,
in Gedanken immer nah
Die Aussicht auf Erfolg
Im Verlieren verneint
Mit all den andren Zweifeln
Im Scheitern tief vereint
Nichts gelingt, nichts führt zu Glück,
alles verkehrt,
eins ist dennoch sicher,
ich bin liebenswert!
Ab wann kann ich es wagen?
Ab wann kann ich es wagen,
mich Schriftsteller zu nennen,
mich auch and‘ren gegenüber
als Autor zu bekennen?
Ab wann kann ich es wagen,
an die Öffentlichkeit zu gehen
und zu meinen eig’nen Werken
voll Inbrunst zu steh’n?
Ab wann kann ich es wagen,
ergibt als Frage keinen Sinn,
weil ich, wenn ich Schreibe
bereits Autor bin.
Ab wann kann ich es wagen
Und das ist der einz’ge richt’ge Schluss,
sobald ich etwas schreibe
dies öffentlich sein muss!