Selbstliebe leben

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Massentierhaltung live erleben

„Das sollten Sie nicht kaufen“, hörte Monika eine Stimme neben sich, die sie an Saruman in den Herr der Ringe Verfilmungen denken ließ, als sie die Plastikschale, in der auf ein Saugflies drei Schnitzel geschichtet waren, die etwa sechs Monate lang Teil eines Tieres hatten sein dürfen, das nach wenigen Wochen von der Mutter getrennt, um Zähne, Ringelschwanz und Hoden erleichtert in Massentierhaltung bis zum Schlachtgewicht von 120 kg gemästet wurde, um dann in einen LKW gepfercht voll Todesangst durch einen engen, gekachelten Gang getrieben zu werden, an dessen Ende eine Stromzange wartete, die ihm einen hoffentlich betäubenden Schock versetzten (was nicht bei allen Tieren klappte), bevor es an den Hinterläufen aufgehängt, von Händen, die ohne jegliches Zutun des Bewusstseins agierten, da der Mensch hinter den Händen sich längst von dem was er dort tat geistig abgekapselt hatte, um das Messer nicht mit in die Baracke hinter einem verfallenen Bauernhof, in der er mit zwölf anderen Arbeitern wohnte und seine einzige Erinnerung an Zuhause ein vergilbtes Bild seiner Frau und der drei Kinder war, zu nehmen und bei sich selbst anzusetzen, durch einen Stich ins Herz getötet, in heißem Wasser zum Entfernen der Borsten abgebrüht, und anschließend fein säuberlich zerlegt, verpackt und an Discounter verschickt wurde.

Endprodukt der Massentierhaltung

In einem solchen Discounter befand sich Monika in diesem Moment. Und bis zu diesem Moment hatte sie mit der Gewohnheit, mit der man den Weg zur Arbeit zurücklegt, den Einkaufswagen durch die Gänge geschoben und die gleichen Produkte, die sie immer kaufte, aus dem Regal genommen. Nun war ihre roboterhafte Routine durch die Stimme eines Mannes unterbrochen worden, von dem sie nicht hätte sagen können, ob er bereits vorher neben der Kühltheke gestanden, sich von hinten an sie herangeschlichen hatte oder ob er einfach auf einmal im Raum aufgetaucht war wie ein Geist.

Monika machte einen Schritt zur Seite, hielt die Plastikschale mit den Schnitzeln wie einen Zweihandschild vor sich und blickte den Mann an. Nicht nur seine Stimme, auch sein glattes weißes Haar erinnerte Monika an Saruman. Damit endete die Ähnlichkeit mit dem Filmzauberer. Das Gesicht runder und weicher, seine braunen Augen hätten auch die eines Neunjährigen sein können, der sich keine Gelegenheit entgehen ließ, einen Streich zu spielen. Der Mann trug auch keinen weißen Zauberermantel, sondern einen sandfarbenen Leinenanzug, der locker an seinem sehnigen Körper hing.

„Wie bitte?“, fragte Monika.

„Das sollten Sie nicht kaufen“, wiederholte der Mann und zeigte auf die Schnitzelpackung.

„Die kaufe ich immer.“

„Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was für ein Leben die Tiere führen, die Sie da essen?“

Monika blickte auf die Packung in ihrer Hand, wendete sie ein wenig nach links und rechts und schüttelte nur den Kopf. Ihr Kopfschütteln war nicht nur Antwort auf die Frage, sondern mindestens ebenso sehr Verwunderung darüber, von einem wildfremden Mann im Discounter darauf hingewiesen zu werden, was sie kaufen sollte und was nicht.

„Tun Sie das, dann werden sie sich in Zukunft bei ihrem Einkauf anders entscheiden.“

„Ja, vielleicht“, sagte Monika und lächelte verlegen. Sie legte die Schnitzelpackung zurück in die Kühltruhe, nahm eine Packung Steaks heraus, bei denen die Fleischscheiben mit so viel Marinade ummantelt waren, dass eigentlich egal war, was sie umhüllte, und legte sie hastig in den Einkaufswagen, wobei sie die andere Hand über die Verpackung hielt, als könnte sie dadurch vor dem Mann verbergen, was sie in ihren Einkaufswagen legte.

Sie konnte nicht sagen, warum sie die Schnitzel zurückgelegt hatte und auch nicht, warum die Reaktion des Mannes für sie überhaupt von Belang war. Vermutlich war der Tausch der Schnitzel gegen Steaks nicht das gewesen, was der Mann sich mit seinem Satz erhofft hatte. Aber er hatte etwas in Monika ausgelöst.

Monika drehte sich schnell um und ging direkt zur Kasse. Währenddessen blieben ihre Gedanken bei dem Mann an der Kühltheke. Warum hatte er ihr das gesagt? Was wollte er ihr überhaupt sagen? Und was bildete der sich überhaupt ein? Erst als sie die Bankkarte aus ihrem Geldbeutel suchte, sprangen ihr ihre Gedanken hinterher und landeten wieder in ihrem Kopf bei dem, was sie gerade tat.

Tiere sind Lebensmittelwesen

Der Verkehr auf dem Heimweg floss zäh wie Honig. Da das Einzige, worin sich die endlosen Reihenhäuser unterschieden, die weißen Ziffern auf den blauen Tafeln mit der Hausnummer waren, hatte man das Gefühl, überhaupt nicht voranzukommen. Irgendwo zwischen Langeweile, Frust und Ärger fiel Monika ein Graffito ins Auge. Jemand hatte ein feistes, lächelndes Schwein an die Hauswand gesprayt und daneben Tiere sind Lebensmittel geschrieben, dann aber nsmittel durchgestrichen und wesen darübergeschrieben, sodass es nun hieß: Tiere sind Lebewesen. Sofort hatte sie wieder die Stimme des alten Mannes im Ohr.

Das sollten sie nicht kaufen. Erst jetzt schloss sich die Verknüpfung in ihrem Kopf. Vor lauter Überraschung darüber, dass sie während ihres Einkaufs einfach von der Seite angesprochen worden war, hatte sie die Schnitzel nicht mit der Frage, was für ein Leben die Tiere führten, in Zusammenhang gebracht.

Sie war der Alchemie der Modernen Ernährung unterlegen. Man nehme eine klimatisierte Markthalle, eine Kühltruhe und eine Plastikverpackung, hülle das alles um in Form geschnittene Teile eines Tieres, entferne Bauernhof, Schlamm, Exkremente, Blut und Angstschweiß möglichst weit aus dem Blickfeld und fertig war die perfekte Illusion des vollkommen leidlosen Fleischkonsums. So verschwand die Vernichtungsmaschinerie der Massentierhaltung hinter einem Schutzzaun aus Selbstbedienungstheke und Landidyll-Werbeprospekt.

Während es dem Mann im Supermarkt nicht gelungen war, hatte das simple Graffito für einen kurzen Augenblick den Schleier der modernen Konsumwelt von Monikas Augen gezogen und sie die Wahrheit dahinter klar sehen lassen.

Ein paar Sekunden blitzten Bilder von zusammengepferchten Schweinen in ihrer eigenen Scheiße, das verzweifelte Quieken von Ferkeln, die beim Saugen von den Zitzen der Muttersau gerissen werden, der Geschmack vom Eisen des Blutes, das beim Schlachten literweise aus dem aufgeschlitzten Leib strömte, in Monikas Kopf auf. Ein kurzer Moment der Erkenntnis, zu kurz, um sie zu bekehren, da sie selbst den Schleier sofort wieder vorzog, das Radio laut drehte und bewusst etwas anderes denkend nach Hause fuhr.

Das Tier ist schnell bei dir

Zuhause angekommen fiel ihr Blick auf die Uhr, die schon kurz vor sechs zeigte. Zeit zu kochen. Herd an, Pfanne auf Herd, Öl in Pfanne, Steaks aus der Packung, die von Marinade tropfende Plastikhülle mit in den Müll, Steaks in Pfanne, braten lassen. Kartoffelsalatpackung aufmachen – selbst machen dauert viel zu lange –, Kartoffelsalatpackung mit Löffel auf Tisch. Blattsalat und Tomaten waschen, schneiden, ab in die Schüssel. Fertigdressing bereitstellen. Steaks wenden, braten lassen. Kurz nach sechs, Essen fertig. Fröhliche Feierabendküche.

„Essen ist fertig“, rief Monika so laut, dass sie überall im Haus zu hören war. Sie stellte die Pfanne neben dem Kartoffelsalat mit Untersetzter auf den Tisch, goss das Dressing über den Salat, mischte kurz durch, stellte die Schüssel auf den Tisch.

Florian schlurfte in die Küche, setzte sich wortlos an den Tisch, nahm seine Gabel, stach in das größte Steak in der Pfanne und hievte es auf seinen Teller.

„Ketchup!”, sagte er.

„Hallo erstmal, mein Sohn. Schön, dass du da bist. Kannst du bitte auch in ganzen Sätzen sprechen?“, sagte Monika mit einer Stimme als würde man eine 45er Platte mit 33 Umdrehungen abspielen.

„Ich hol’s mir selbst”, nuschelte Florian und stand auf, um zum Kühlschrank zu gehen.

Holger und Sophie kamen auch. Wenige Augenblicke später saß die ganze Familie am Esstisch.

Während Holger und Florian wie ausgehungerte Bären zugriffen, blickte Sophie auf den Tisch als hätte jemand den Inhalt der Biotonne darauf verstreut.

„Stimmt was nicht?“, fragte Monika und seufzte.

„Ich esse kein Fleisch“, antwortete Sophie.

„Das weiß ich“, sagte Monika. „Deswegen habe ich Salat gemacht.“

„Toll, danke Mama. Für mich hast du wieder nur Beilagen.“

„Aber Salat ist doch keine Beilage.“

„Schon mal das Wort Beilagensalat gehört?“

„Ja. Nimm mehr davon, dann ist es eine Hauptspeise.“

Schweine sind Lebewesen kein essen

Sophie schnaubte und nahm sich jeweils eine große Portion von den beiden Salaten. Dann sagte sie:

„Weißt du was Mama? Hannah hat mir erzählt, dass sie mit ihren Eltern beim Love Earth Festival war. Dort gibt es nur veganes Essen. Da können wir hingehen, dann kannst du sehen, was man alles tolles kochen kann, ohne einem Tier zu schaden.“

Tiere essen oder Tieressen essen

„Eigentlich ist es doch Tierquälerei“, sagte Florian und schluckte noch ein Stück Steak hinunter, bevor er weitersprach, „wenn du den Tieren das Essen weg isst.“ Er grinste stolz, richtete sich auf, als hätte er eine eins in Mathe nach Hause gebracht und wartete nun auf das Lob und Schulterklopfen von Holger. Da sich Stolz und Häufigkeit von dummen Sprüchen und Einsen in Mathe aber umgekehrt proportional zueinander verhielten, wobei die Häufigkeit von Einsen in Mathe bei Florian gegen Null tendierte, wartete er vergebens auf ein Schulterklopfen.

Stattdessen erntete er von Sophie einen Blick, bei dem in einem achtzigerjahre Science-Fiction Film Laserstrahlen aus ihren Augen geschossen wären. Zu Florians Glück waren sie nicht in einem achtzigerjahre Science-Fiction Film.

Bevor der Kampf seine Steigerung in der nächsten Runde erfahren konnte, brach Monika ihn ab:

„Das ist eigentlich eine gute Idee. Ich könnte da wirklich ein paar Anregungen brauchen. Vielleicht finden wir dort auch ein gutes veganes Kochbuch.“

„Wirst du dann auch Veganerin?“, fragte Sophie.

Monika schaute verlegen, als müsste sie ein Aufklärungsgespräch mit ihrer Tochter führen.

„Ich glaube nicht. Aber vielleicht esse ich weniger Fleisch“, sagte sie. Sophie entgegnete nichts, sank aber zusammen, als hätte sie die Puppe, die sie sich mehr als alles andere gewünscht hatte, doch nicht zu Weihnachten bekommen.

Monika nahm ein Stück ihres Steaks in den Mund. Es war zäh wie ungekochte Bambussprossen. Monika hatte das Gefühl, dass sich das Fleisch in ihrem Mund mit jeder Kaubewegung vermehrte. Nach und nach wich das alles übertüchende Paprikaaroma, das an Kochversuche von Jugendlichen erinnerte, die ihre unzureichende Expertise in Sachen Gewürzauswahl mit der doppelten Menge der selbigen zu kompensieren versuchten, dem fahlen Geschmack ausgelaugten Fleisches, das nicht genug Lebenszeit hatte, die Muskeln aus ordentlichen Proteinen aufzubauen und dies mit einer großen Menge Wassereinlagerung kompensierte, die während des Bratens verlorengegangen war und ein Stück Gewebe zurückließ, bei dem selbst herstellerseitig die einzige Hoffnung war, dass es verzehrt werden würde, bevor die Verwesung so weit fortgeschritten war, dass es gesundheitlich für denjenigen, der sich die tierischen Überreste einverleibte, ebenfalls bedenklich wurde hinsichtlich eines vorzeitigen Ablebens. Monika trank einen Schluck Wasser, um den fasrigen Batzen in ihrem Mund hinunterschlucken zu können.

„Wollen die beiden Herren uns begleiten?“, fragte sie.

„Nope, ich muss leider zum Fußball. Sonst würde ich natürlich gerne mitkommen.“, sagte Florian.

„Ja, natürlich“, sagte Monika und blickte Holger erwartungsvoll an.

„Gibt es da Roboter?“, fragte dieser.

„Ach, Holger“, sagte Monika.

„Schon gut, Mami“, sagte Sophie, „zu zweit können wir viel mehr probieren.“

„Ja, genau“, sagte Monika zustimmend und zwang ihr Gesicht zum Lächeln. Dass sie gedacht hatte, sie könnte Anregungen holen, was sie für Sophie kochen könnte und selbst Tiere essen, statt deren Essen, wie Florian es ausgedrückt hatte, sagte sie nicht.

Sie sah Stände voll unangemachten Salates vor sich, krumme Karotten, schrumpelige Paprika, spürte steinharten Buchweizen zwischen ihren Zähnen stecken, Grünkernbratlinge, die staubten, wenn man hineinbiss und gegen die ein Schluck Wasser ein wahres Geschmackserlebnis bereithielt.

Oh Gott, worauf habe ich mich da eingelassen?

Monika blickte auf ihr Steak. Zumindest heute noch ordentliches Essen! Sie spießte die Gabel in das Fleisch, sägte ein ordentlich großes Stück herunter, steckte es in den Mund und kaute voll Vorfreude auf den herrlichen Umamigeschmack eines guten Tieres, der jedoch jäh enttäusch wurde, als wieder die viel zu scharfe Marinade einer Mischung aus Eisen, Schweinestall und Verwesung wich.

Vielleicht ist Tieressen doch keine so schlechte Alternative.

Massentierhaltung live erleben

Am nächsten Morgen fuhren Sophie und Monika mit ihren Fahrrädern zum Love Earth Festival. Ein Plakat an einer Staßenlaterne mit dem markanten Love Earth-Logo, das unseren blauen Planeten als Herz geformt darstellte, zog Monikas Aufmerksamkeit auf sich. Darauf war auf der einen Seite ein Schwein, auf der anderen ein Hund zu sehen, die beide mit den traurigen Augen eines Kindes, das ein Spielzeug nicht bekommt, in Richtung des Betrachters blickten. Friend or Food? stand dazwischen. So hatte sie Tiere noch nie betrachtet.

Wie kommt es, dass wir manche Tiere in Ställe sperren, mästen, schlachten, zerstückeln und essen, während wir andere Tiere zum Teil besser behandeln als unsere Kinder? Sie fand keine sinnvoll Antwort darauf.

Am Ortsende zweigte sich die Ausfallstraße in zwei kleinere Straßen, breit genug für landwirtschaftlichen Verkehr, zu eng für Gegenverkehr. Auf der einen Seite waren riesige Stallanlage zu erkennen, auf der anderen nichts als Felder. Welche Richtung sollten sie einschlagen? Nirgendwo war ein Hinweisschild zu sehen.

Monika sah auf die Höfe der Großbauern mit ihren Hühner-, Kuh- und Schweineställen, die mehr mit einem Industriegebiet als mit dem Bild von Landleben zu tun hatten, das noch in den Köpfen der meisten Menschen verankert war.

Unschlüssig rollte sie ein paar Meter in Richtung der Felder, als ihr ein Mann mit langen grauen Haaren in einem lockeren Leinenanzug entgegenkam.

„Sie sind auf dem richtigen Weg“, sagte er mit einem freundlichen Lächeln und nickte ihr dabei höflich zu.

„Gut, danke!“ rief Monika und begann wieder fester in die Pedale zu treten.

„Nett von dem Mann, dass er uns geholfen hat“, sagte Sophie.

„Ja“, stimmte Monika zu.

War das nicht der Mann aus dem Supermarkt? Woher wusste er wohin sie wollten? Und wo war er eigentlich auf einmal hergekommen?

Nachdem sie die letzten Häuser hinter sich gelassen hatten, fuhren sie in gemächlichem Tempo auf einer schmalen Straße zwischen den Feldern. Grün leuchtende Zucchini lugten prall unter ihren ausladenden Blättern hervor, Zwiebeln verströmten ihr markantes süßlich scharfes Aroma, die Maispflanzen standen übermannsgroß still neben der Straße wie Armeetruppen, untergeackerte Erdbeerpflanzen weckten Sehnsucht nach dem zu Ende gehenden Sommer, während kleine, unreife Kürbisse Vorfreude auf den nahenden Herbst machten. Die Farbe der Landschaft wechselte allmählich vom lebendigen Grün zu einem Orangerot, das strahlte, als wollte es noch das bisschen gespeicherte Wärme an seine Umgebung abgeben, bevor es von brauner Kargheit und kaltem Eisblau abgelöst werden würde.

Wie eine Trabantenstadt bauten sich vor ihnen die Zelte des Festivals auf. Vor dem Eingang gab es einen Fahrradparkplatz.

„Hoffentlich finden wir unsere Räder wieder“, sagte Sophie und zeigte auf die vielen hundert, die bereits abgestellt waren.

„Denke schon“, sagte Monika und wunderte sich, dass nirgendwo ein Auto zu sehen war. Ökos halt.

Als sie in Richtung Eingang gingen, kamen sie an einer Programmtafel vorbei, wobei es sich eigentlich nicht um eine Programmtafel handelte, sondern um eine Stalltür. 100% recycelte Stalltür, gestiftet von unseren mutigen Helden der Organisation Freiheit für alle Tiere war ganz unten zu lesen. Am oberen Ende prangte wieder das Logo, darunter war das Motto des diesjährigen Festivals gedruckt: Massentierhaltung Live erleben – Erfahre, wie es Tieren wirklich geht.

Massentierhaltung bedeutet Massenpharmazie

Monika schluckte, als sie sich die einzelnen Programmpunkte anschaute. Klanginstallationen aus Hühnerställen, Vorträge zum Thema Massentierhaltung und Klima, begehbare Ställe, Stallüberwachungsvideos, eine Skulptur aus Medikamenten einer industriellen Hühnerzucht und Virtual Reality Massentierhaltungserlebnis waren darunter. Klingt nicht gerade nach Spaß, dachte sie spürte, wie Sophie sie an der Hand packte und mit sich auf das Festivalgelände zog.

„Wow, Mama, schau dir das an!“, rief Sophie und zeigte aufgeregt auf ein über zwei Meter großes Huhn, das aus hunderttausenden kleinen Tabletten und Fläschchen bestand. Massentierhaltung = Massenpharmazie. Wochenverbrauch einer Hühnerzucht mit 100.000 Hühnern stand auf einem Schild, das an dem Huhn angebracht war. Und sowas essen wir mindestens einmal in der Woche? Monika wurde schlecht.

„Wahrscheinlich verdient die Pharmaindustrie mehr mit Massentierhaltung als die Bauern“, sagte Monika.

„Ich verstehe nicht, warum die Leute so scharf darauf sind, das zu essen!“, sagte Sophie.

„Lass uns weitergehen“, sagte Monika.

„Da, das Zelt sieht interessant aus“, sagte Sophie und zeigte auf ein beigefarbenes Zelt, das etwa fünf auf zehn Meter maß.

Hinter dem Zelteingang wurden sie von einer jungen Frau mit aschblondem Zopf, dem dunkelblauen Love Earth-Festival T-Shirt, einer Wollhose in verschiedenen Grüntönen und Trekkingschuhen mit einem freundlichen Lächeln begrüßt.

„Herzlich willkommen im Hühnerstall“, sagte die Frau.

„Einen Hühnerstall habe ich mir immer andres vorgestellt“, sagte Monika und zeigte auf die glatten schwarzen Kästen, die ringsum in dem Zelt aufgestellt waren. Jede davon gut zwei Meter hoch und etwa einen Quadratmeter in der Fläche.

Die Frau nickte zustimmend und sagte:

„Das ist richtig. Es ist immer so schwierig, die Besucher aus den Käfigen der Legehennen wieder zu befreien.“ Sie machte eine kurze Pause für Lacher. Monika lachte eher höflich, da sie nicht ganz verstanden, was daran witzig war.

„Hier geht es nicht um den Käfig an sich, sondern um den Klang im Inneren einer Legehalle. Wir haben Mikrophone in einer solchen installiert. Die Ergebnisse könnt ihr euch in diesen Kammern anhören. Ihr könnt so lange drinbleiben, wie ihr wollt. Oder besser: Ihr könnt jederzeit raus, wenn es euch zu viel wird.“

Der Klang der Legebatterie

„Das müssen wir ausprobieren, Mama“, sagte Sophie. Monika nickte nur.

Zögernd ging sie auf eine der Kabinen zu, öffnete die Tür. Im Inneren war es wie in einer Dunkelkammer.

„Kein Licht?“, fragte sie die junge Frau.

„Nein, es geht darum, sich ganz auf das Hören zu konzentrieren.“

„Okay“, sagte Monika, ging hinein und schloss die Tür. Etwa zwei Sekunden blieb es still, bis sie das Boag eines Huhns hörte. Boag, boag, boag folgte, dazwischen war ein scharrendes Geräusch zu hören, das Monika an das Unkrautentfernen zwischen den Pflastersteinen in der Einfahrt erinnerte. Das Scharren wurde immer lauter, überall um sich herum hörte Monika Kratzgeräusche. Das Kratzen war direkt neben ihr, vor ihr, hinter ihr.

Sie spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Boag, hörte sie wieder. Boag, boag, boag. Es folgte ein knarrendes Geräusch, das wie das langsame Öffnen einer Holztür in einem Horrorfilm klang.

Hühner in Massentierhaltung
Quelle: Merkur.de

Nun war es nicht mehr ein Huhn, sondern immer mehr stimmten in das Boag ein. Es hörte sich an wie ein Chor, in dem jeder sein eigenes Lied singt.

Die Kakophonie aus Boag, Scharren und Knarren wurde ergänzt durch ein schnelle Tztztztz. Die Geräusche kamen aus allen Richtungen wild durcheinander. Tztztztz vor ihr und links, Knarren hinten und vorne, Boag links und rechts, dann wieder vorne hinten, sogar von oben und unten schienen die Geräusche zu kommen. Das Scharren war ringsum zu hören.

Es gab keine Pause. Ununterbrochen waren die Geräusche da. Allgegenwärtig. Es fühlte sich an, als würde Monikas Körper durch die Schallwellen der Hühnergeräusche in Schwingungen versetzt. Die Schwingungen waren nicht entspannend wie das sanfte auf und ab der Wellen, wenn man auf einer Luftmatratze im Meer treibt, sondern durcheinander wie die wildesten Stücke von John Cage. Irgendwie passend im Käfig. Die Laute der Hühner drangen in die Zellen ein, drückten und zerrten in alle Richtungen.

Monika hatte das Gefühl, sie würde gleichzeitig ganz eng in eine große Wolldecke gewickelt und von tausenden winzigen Haken auseinandergezogen. Ihre Atmung wurde schneller, ihr Puls kam in die Abbruchregion eines Belastungs-EKGs, sie spürte das Pulsieren ihres Blutes in allen großen Gefäßen, in den Beinen, den Armen, am Hals. Selbst ihr Gehirn schien zu pulsieren. Ihre Atmung beschleunigte sich weiter. Sie begann zu hecheln. Die eingeatmete Luft gelangte nicht mehr in die Lunge, wurde sofort wieder ausgeatmet.

Der Raum begann sich zu drehen. Monika musste sich an den Wänden abstützen. Der Raum drehte sich schneller. Lichtblitze tauchten vor ihren Augen auf. Gelb, rot, blau.

Raus. Ich muss hier raus. Nur raus. Monika drehte sich um. Suchte nach dem Türgriff. Fand ihn nicht. Hilfe! Nur noch Farbblitze vor den Augen. Kein Oben und Unten mehr. Nur Rotation im Raum.

Dann ging die Tür auf und das Tageslicht fiel in die Box. Schlagartig landete Monika wieder auf den Füßen und stolperte hinaus, direkt in die Arme der jungen Frau.

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Haltung im Massenstall nicht das einzige Problem

„Geht es Ihnen gut?“, fragte diese.

„Ja, danke, geht schon. Mir war nur ein wenig schwindlig“, antwortete Monika.

„Eindrucksvoll, was allein die Töne aus einem Massenstall für Hühner bewirken können, nicht wahr?“

„Allerdings“, sagte Monika, die noch immer nach Atem rang.

„Stell dir mal vor, wie es den armen Hühnern geht, die das den ganzen Tag aushalten müssen“, sagte Sophie.

„Ihr ganzes Leben!“, sagte die junge Frau.

„Das will ich mir gar nicht vorstellen“, sagte Monika.

„Die Tiere haben leider keine andere Wahl, solange die Menschen Eier wollen“, sagte die junge Frau.

„Aber es gibt doch auch Freilandhaltung“, saget Monika.

„Ja, aber wie viele Eier können so produziert werden? Es sind ja nicht nur die Eier, die sie noch mit Schale kaufen. Die meisten Eier gehen in die Industrie und landen in abgepackten Kuchen, Nudeln oder Fertiggerichten. Dann wäre ein großer Teil Deutschlands Hühnergehege. Außerdem wären die Hühner immer noch eingesperrt und müssten vor allem immer noch übermäßig viele Eier produzieren. Heutige Hennen legen 300 Eier pro Jahr. Vor der Ausbeutung der Tiere waren es 20 bis 30. Das sind körperliche Höchstleistungen, die den Hühnern abverlangt werden.“

300 Eier pro Jahr! Monika dachte an ihre Schwangerschaften und stellte sich vor wie es wäre, ein Kind nach dem anderen zu bekommen. Zwanzig, fünfundzwanzig Kinder. Ein menschliche Gebärmaschine. Ihr Körper schüttelte sich als wollte er die grausige Vorstellung loswerden wie ein nasser Hund das Wasser in seinem Fell.

„Siehst du Mama, ich sag doch immer, dass auch vegetarisches Essen nicht gut für die Tiere ist“, sagte Sophie.

„Da hast du Recht, Kleine“, sagte die junge Frau und hob die Hand zum High Five. „Du bist auf einem guten Weg!“

Sophie lächelte mit leicht geneigtem Kopf, schlug dann aber doch ein.

„Gut, danke. Lass uns weitergehen“, sagte Monika, um die Rekrutierung ihrer Tochter für eine Tierrechtsaktivistengruppe zu verhindern. Zumindest für den Moment.

Du musst ein Schwein sein in dieser Welt

Monika und Sophie flanierten über das Festivalgelände, vorbei an allerlei Verkaufsständen. Vegane Kleidung aus Bioanbau wurde angeboten, Gewürze, speziell für die vegane Küche, Küchenutensilien aus Holz, nachhaltige Aufbewahrungs- und Transportbehältnisse für Lebensmittel, Flaschen aus Recyclingmaterial, Schmuck und Accessoires aus Naturmaterialien und Bücher über vegane Küche und ein nachhaltiges Leben ohne Plastik.

Gut ein Viertel des Festivalgeländes war für Essenstände vorbehalten. Diese waren ringsum eine Bühne aufgestellt, sodass sich die Besucher jederzeit mit Essen und Getränken versorgen konnten, während sie Vorträge, Podiumsdiskussionen oder Live-Bands verfolgten.

Das Speisenangebot deckte alle Weltküchen ab, von den europäischen Länderküchen Deutschlands, Griechenlands, Frankreichs, Spaniens und Italiens über asiatische Küche aus China, Vietnam, Thailand über amerikanische Angebote aus den USA, Mexiko, der Karibik und Peru bis hin zu afrikanischen Speisen aus Marokko, Ägypten, Nigeria, Namibia und Südafrika. Alles vegan und bio. Kein Tier muss für unser Essen leiden stand auf einem großen Banner, das über die ganzen Essenstände gespannt war.

„Wahnsinn!“, rief Sophie, „So viele verschiedene Gerichte. Hab ich doch gesagt, dass veganes Essen nicht nur Beilagensalat ist!“

Monika schluckte den Ärger über den Seitenhieb hinunter und fragte:

„Was möchtest du essen?“

Während sich Sophie ein Curry mit Kichererbsen, Spinat und Kürbis holte, ging Monika zum Stand der US-Küche anbot und bestellte Pulled Austernseitlinge. Bei einem der vergangenen Grillabende bei Cornelia und Klaus, die selbstredend von Mengen an Fleisch dominiert worden waren, die den Eiweißbedarf aller Anwesenden für zwei Wochen hätten abdecken können, hatte sie zum ersten Mal Pulled Pork, also stundenlang bei niedriger Hitze gegartes, den Fasern nach zerrissenes, deswegen Pulled, und mit BBQ-Sauce mariniertes Fleisch, das mit Krautsalat (natürlich echt amerikanischem Coleslaw mit viel Majo) in einer knusprigen Semmel serviert wird. Auf die Hand für Zwischendurch, Kalorien für drei Mahlzeiten, aber herrlich in Konsistenz und Geschmack. Genau das, was Monika und ihre Freunde liebten.

Genau das wurde hier auch serviert. Nur, dass das Schweinefleisch gegen Austernseitlinge und die Majo durch vegane Majo ersetzt wurden. Skeptisch Biss Monika hinein. Der Knack der Semmel, die Frische des Coleslaws, die Mischung aus Raucharoma, Süße und Umami, der volle Biss der Pilze. Kaum hatte sie den ersten Bissen geschluckt, biss sie ein zweites Großes Stück ab. Der Genuss stand den beim Grillabend in nichts nach – und das ganz ohne tierische Zutaten! In Monika öffnete sich ein kleines Fenster und gab den Blick auf eine Welt voll Genuss allein aus pflanzlichen Zutaten frei. Sie wollte aus dem Fenster in jedem Fall eine Tür machen. Ob sie diese dauerhaft durchschreiten würde, wusste sie noch nicht.

Fühle dich sauwohl in der Masse

Hinter den Essensständen stand wieder ein Informationszelt, etwas größer als das mit der Klanginstallation aus dem Massenstall. Ein Schweineleben stand über dem Eingang.

„Lass uns da reingehen, Mama“, sagte Sophie. Monika atmete hörbar tief ein.

„Eigentlich hab ich nach der Hühnererfahrung genug.“

„Aber du musst doch auch wissen, wie es den Schweinen geht!“

„Muss ich das?“

„Ja, natürlich, komm!“, sagte Sophie und zog ihre Mutter an der Hand.

Seufzend folgte Monika ihrer Tochter.

„Hey, cool, dass ihr da seid, kommt rein“, begrüßte sie ein junger Mann, der Monika mit seinem zerzausten Haar und seiner dünnen Statur an Pampasgras erinnerte.

„Wow, so eine wollte ich schon immer ausprobieren“, sagte Sophie und griff nach einer der VR-Brillen, die auf dem Tisch vor ihnen lagen.

„Ja, die sind super“, sagte der Pampasgrasmann, „wobei man mit denen auch angenehmere Dinge machen kann als das hier.“

„Und ich dachte, wir hätten das Unangenehme für heute schon hinter uns“, sagte Monika.

„Ihr wart also schon ein Huhn?“, fragte der Mann. Monika und Sophie nickten. Der Mann grinste. „Das ist doch gar nichts. Hier bei mir könnt ihr euch sauwohl fühlen.“

„Was auch immer das heißen mag“, sagte Monika.

„Das wirst du gleich sehen“, sagte er, nahm eine VR-Brille und reichte sie Monika.

„Du hast ja schon eine“, sagte er zu Sophie. „Geht in eine der Gitterboxen und setzt die Brillen auf.“

Vor Ihnen waren Gitterboxen mit einer Grundfläche von etwa 60 Zentimeter mal ein Meter. Der Boden bestand aus einem Plastikgitter, das an einen unförmigen Backofenrost erinnerte.

„Das sind aber keine echten Schweineboxen, oder?“, fragte Sophie.

„Nein, die von den Schweinen sind natürlich länglich. Aber wir wollten euch nicht auf alle Viere zwingen. Das reicht so schon.“

„Ich glaube, ich schau dir lieber zu“, sagte Monika und reichte dem Pampasgras die VR-Brille.

„Ach, Mama!“, rief Sophie.

„Keine Angst, es passiert nichts“, sagte der Mann und wehrte die Brille ab. „Zumindest nicht wirklich.“

„Na dann“, sagte Monika und zwänge sich in die Box.

Der Mann Schloss die Türen hinter ihnen, sodass sie an vier Seiten von Gittern umgeben waren.

Monika setzte VR-Brill und Kopfhörer auf. Für einen kurzen Augenblick war es um sie herum vollständig dunkel. Sie nahm einen bewussten Atemzug, spürte, wie sie ruhiger wurde.


Mehr spannende und inspirierende Geschichten aus Monikas Leben findest du in meinem Buch Glück im Moment.


Aus der Perspektive des Schweins

Es wurde hell. Das erste, das Monika sah, war ein Schweinerüssel, allerdings nicht wie man ihn normalerweise sieht, sodass er an eine Steckdose erinnert, sondern aus der Perspektive des Schweins. Direkt vor dem Rüssel war eine Betonrinne, etwa zwanzig Zentimeter breit, der Boden mit einer bräunlichen Flüssigkeit bedeckt. Sie hob den Blick ein wenig und sah gegenüber Schweine, die ebenfalls hinter einer solchen Rinne standen, eingepfercht in einen Käfig aus Metallstäben, kaum größer als sie selbst. Umfallen konnten die Schweine vermutlich nicht.

Monika wendete den Kopf nach links und stieß mit der VR-Brille an die Gitterstäbe. Für sie sah es aus, als wäre es ihr Rüssel gewesen. Sie wich zurück, drehte den Kopf erneut, etwas vorsichtiger diesmal. Sie konnte kein Ende der Reihe der Schweine ausmachen. Eines am anderen stand eingepfercht in eine Gitterbox.

Schweine in Massentierhaltung
Quelle: GEO

Sie blickte nach rechts. Etwa zehn Schweine waren noch in der Reihe. Weiter vorne war die Aufzuchtstation. Muttersauen lagen in ähnlichen Gitterboxen, die aber noch kleiner schienen. War die Box überhaupt hoch genug, dass die Schweine sich hätten aufrecht hinstellen können? Waren sie dazu überhaupt noch in der Lage?

Sie schienen völlig apathisch, lagen nur da, reglos, der Blick leer, wie der Tausend-Meilen-Blick von Soldaten, die äußerlich womöglich unversehrt, aber innerlich gestorben aus einer Schlacht heimkehren und durch alles und jeden hindurch in die Ferne blickten. Monika hatte einen solchen Blick im Bild Two Thousand Yard Stare des US-Malers Thomas C. Lea gesehen. Offenbar konnten nicht nur Menschen innerlich zerbrechen.

Acht Ferkel kämpften wild vor der Muttersau um den besten Platz an den Zitzen, sprangen übereinander, rempelten, bissen, traten. Nicht selten blieben sie dabei in einer der Spalten im Boden hängen, durch die ihre Fäkalien abfließen sollten.

Die Natur lässt sich nicht gut in Massen halten

Ein helles Lichtdreieck fiel in den Raum. Die Ferkel flüchteten wie Vampire, versuchten sie sich dem Schein zu entziehen, wollten sich hinter ihrer Mutter verstecken. Das Quieken unterschied sich nicht von den Angstschreien kleiner Kinder. In Monika löste es die gleichen Gefühle aus, doch sie konnte ihnen nicht helfen.

Sie sah, dass es nicht die Sonne war, vor der die Ferkel flüchteten, sondern der Bauer, dessen olivgrüne Gummistiefel bei jedem Schritt ein schmatzendes Geräusch erzeugten, wenn sie das Gemisch aus Tierexkrementen, das noch nicht den Weg in die Spalten des Bodens gefunden hatte, zur Seite spritzen ließen. Sein Bauch und sein Gesicht waren so rund, als hätte man Bälle aufeinandergestapelt, wobei das matte Grün seiner PVC-Latzhose am Bauch einen seltsamen Kontrast zu seinem prallroten Gesicht bildete. Seine grobporige Nase schimmerte an den Flügeln violettblau, sein Atmen klang wie ein Blasebalg.

Er ging auf die Ferkel zu, breitete die Arme aus, um sie daran zu hindern, an ihm vorbei zu huschen. Mit seinem wankenden Gang und der verschlammten Gummihose sah er aus wie das Monster aus dem Sumpf. Aus Sicht des Ferkels war er auch ein Monster.

Als er nah genug war, beugte er sich schnell nach unten und griff eines der Ferkel. Das Ferkel schrie laut auf, wandte sich, strampelte wild mit den Beinen, biss um sich, konnte sich aber den Pranken des Bauern, die so groß waren wie die XXL-Schnitzel, die einmal aus den Schweinen werden sollten, nicht entziehen.

Der Bauer steckte sich das Ferkel unter einen Arm, nahm es in den Schwitzkasten. Er ging zu einem kleinen Tisch, von dem er ein längliches Gerät nahm, das Monika an Holgers Multifunktionswerkzeug erinnerte. Das Kabel steckte in einer vergilbten, mit Spinnweben überzogenen Steckdose, am vorderen Ende war ein kegelförmiger Bohrer aufgesetzt. Wie beim Zahnarzt, nur viel größer.

Aber er erfüllte den gleichen Zweck. Dieser Bohrer wurde aber nicht behutsam und sorgfältig eingesetzt, wie es die Zahnmediziner machen, sondern mit der routinierten Geringschätzung, mit der man Unkraut jätet.

Mit der Linken griff der Bauer so um den Unterkiefer des Tieres, dass er ihm das Maul aufdrücken konnte, mit der Rechten schaltete er den Bohrer an. Ein lautes Surren mischte sich unter das panische Quieken der Ferkel und das gleichgültige Grunzen der anderen Schweine.

Das Surren wurde von einem hellen Schleifgeräusch übertönt, als der Bauer den Bohrer an den Zähnen dies Ferkels ansetzte. Das Ferkel strampelte wild mit den Hinterläufen, wollte fliehen, wollte weg, doch es gab keinen Ausweg.

Nach nicht einmal zwei Minuten hatte das Ferkel seine spitzen Eckzähne verloren. Anstatt dass der Bauer das winzige Tier, das zitterte wie ein Welpe, der an einem Januarmorgen vor die Tür gezerrt wird, auf den Boden gesetzt hätte, legte er den Bohrer ab und drehte das Ferkel um. Er nahm ein Gerät, das ähnlich aussah wie das Erste, anstelle des Bohrers aber einen Aufsatz mit zwei gebogenen Stäben, die vorne in einem V zusammenliefen, hatte.

Mit der linken Hand zog er das kleine Ringelschwänzchen des Schweins in die Länge, und setzte das V ein kleines Stück hinter dem Körper des Tieres an.

Monika wollte dem gequälten Tier helfen, wollte verhindern, was gleich passieren würde. Sie wollte schreien, doch aus ihrer Kehle kam nur ein Grunzen. Sie wollte das Ferkel befreien, wollte losstürmen auf den Bauern, doch sie stieß gegen unnachgiebige Metallstäbe. Ihr blieb nichts anderes übrig als mitanzusehen, wie der Bauer dem Ferkel den Schwanz abschnitt.

Sie konnte das Gesicht des Ferkels sehen, das hinten unter dem Arm des Bauern in ihre Richtung sah. In dem Moment, in dem ein Zischen zu hören war, riss das Ferkel das Maul weit auf. Hätte Monika das Ferkel nicht gesehen, hätte sie gedacht, dass ein kleines Baby nach seiner Mutter schreit, ein Baby, das noch nicht versteht, was mit ihm geschieht, das sich nach Liebe und Wärme sehnt und stattdessen Gleichgültigkeit und Schmerz bekommt.

Achtlos ließ der Bauer das Ferkel aus der Umklammerung, hielt es kaum genug, um einen freien Fall zu verhindern, warf gleichzeitig den abgeschnittenen Ringelschwanz in eine schwarze Plastiktonne. Dann machte er sich auf, um das nächste Ferkel zu fangen.

Wie kleine, matte Knöpfe starrten die schwarzen Augen zwischen zu groß wirkenden Öhrchen und der runden Schnauze, die sich leicht im Rhythmus des ruhiger werdenden Atems bewegte in Monikas Richtung. Warum, schienen sie zu fragen. Warum?

Die traurige Wahrheit

Monika nahm die Brille ab, ließ den Kopf nach vorne an das Eisengitter vor sich sinken. Durch einen Tränenfilm konnte sie nichts erkennen. Sie musste zweimal schlucke, bevor sie sich die Augen wischen und sich umdrehen konnte.

„Passiert das wirklich mit den Ferkeln?“, fragte Monika.

„Ja, leider“, saget der Pampasgrasmann. „Zum Glück nicht in allen Ställen. Es gibt immer mehr Tierhalter, die diese Prozedur nur noch in Betäubung vollziehen oder ganz darauf verzichten, weil sie den Schweinen genug Platz lassen, dass die sich nicht gegenseitig die Schwänze abbeißen. Aber auch bei denen sind die Tiere immer noch eingesperrt und werden nach kurzer Zeit geschlachtet.“

„Es geht ihnen also nur weniger schlecht, aber immer noch schlecht“, sagte Sophie.

„So kann man es sagen. Und so lange die Leute nicht Hülsenfrüchte und Gemüse anstatt Schweinebraten und Schnitzel essen, wird sich daran auch nicht viel ändern.“

„Dann sind wir also mit schuld, dass es den Schweinen so schlecht geht“, sagte Monika.

„Du schon, ich nicht“, sagte Sophie.

„Ich sag mal so, jede, die auf Fleisch verzichtet, ist ein Gewinn. Aber es muss sich insgesamt etwas ändern. Es muss normal sein, dass man Gemüsebratlinge statt Fleischpflanzerl ist. Dafür fehlt oft schlicht und ergreifend aber das Angebot. Gleich ob du durch die Stadt gehst oder in einem Freizeitpark bist, es gibt Wiener, Bratwürste, Leberkäse. Die vegetarische Alternative sind oft Pommes. Wir wollen mit dem Festival hier auch zeigen, wie vielfältig die Alternativen sind und vor allem, wie gut sie schmecken.“

„Und die Kunstinstallationen“, fragte Monika.

„Naja, das Essensangebot soll die Leute auf die gute Seite ziehen, die Kunstinstallationen sollen sie zusätzlich schubsen.“

„Das Ziehen gefällt mir besser“, sagte Monika.

„Ich glaube, du hast schon auch einen Schubs nötig“, sagte Sophie und klopfte ihrer Mutter auf die Schulter.

Werde zur Kuh

„Wenn du noch einen Stubs brauchst, dann probiere mal da drüben das Werde zur Kuh aus.“

„Eigentlich habe ich heute schon genug erlebt, wie es den Tieren geht.“

„Naja, das hier war nur eine Simulation.“

„Und was ist bei den Kühen?“

„Dort kannst du wirklich Massentierhaltung erleben.“

„Jetzt bin ich doch neugierig“, sagte Monika.

„Dann lass es uns probieren“, rief Sophie.

Auf dem Weg zum Kuhzelt spürte Monika, wie ihr Herz immer stärker schlug. Die Klanginstallation aus dem Hühnerstall und die VR-Simulation aus dem Schweinestall hatten sie eigentlich schon genug mitgerissen. Warum hatte sie nur gesagt, dass sie neugierig sei? Bevor sie überlegen konnte, was sie Sophie erzählen könnte, um nicht mit in das Kuhzelt zu müssen, begrüßte sie ein älterer Herr am Eingang.

„Werde zur Kuh und erlebe, was es wirklich heißt, wie ein Tier behandelt zu werden“, sagte der Mann mit dröhnender Stimme.

Ich kenne diese Stimme, dachte Monika. Sie blickte den Mann an, erkannte das runde Gesicht, die durchdringenden Augen. Es war der Mann aus dem Supermarkt. Monika zog eine Augenbraue hoch, schüttelte den Kopf.

„Sie?“, sagte sie ungläubig.

„Ja, ich. Warum so überrascht?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht weil ich nicht damit gerechnet habe, Sie so schnell wieder zu sehen.“

„Das Schicksal wollte es so“, sagte der Mann.

Monika wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.

„Was können wir hier machen?“, fragte Sophie.

Der Mann beugte sich zu ihr nach unten und sagte: „Hier könnt ihr wirklich erleben, wie es ist, eine Kuh in Massentierhaltung zu sein.“

„Ist das auch so eine VR-Simulation?“

„Nein, das ist echt“, sagte der Mann und zwinkerte Sophie zu. „Ich würde vorschlagen, wir lassen deine Mutter beginnen.“ Sophie ließ die Arme nach unten fallen, wollte protestieren, doch der Mann kam ihr zuvor. „Das ist, wie es sein soll“, sagte er und an Monika gewandt:

„Bitte treten sie ein.“

Er legte eine Hand auf ihren Rücken und schob sie ins Innere des Zeltes. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und Monika erkennen konnte, was im Zelt war, war sie so überrascht als hätte eine Kuh mit ihr gesprochen. Denn da war keine Kuh, auch keine Gitterbox, VR-Brille, Bildschirm oder sonst irgendwas. Das Zelt war vollkommen leer. Außer dem Grasboden und den Zeltwänden war nichts zu sehen. Irritiert drehte sich Monika zu dem Mann um. Dieser legte ihr die Hände auf die Schultern und sagte:

„Schau mir tief in die Augen!“ Er fixierte Monikas Auge mit seinen. Sie konnte sich seinem Blick nicht entziehen. Um seine braunen Pupillen bildete sich ein goldener Ring. Der Ring wurde heller und kräftiger, zeichnete sich immer deutlicher ab, begann zu leuchten. Monika fühlte, dass etwas an ihrem Körper zog. Es waren nicht die Hände des Mannes, vielmehr war es eine Energie, die an ihrem gesamten Körper zog, als wäre sie in einem Strudel, der sie immer weiter in die Tiefe zog.

Ein wahres Kuhleben

„Du bist eine Kuh!“, sagte der Mann. Der goldene Ring in seinen Augen leuchtete nun blendend hell, dennoch konnte Monika den Blick nicht abwenden. Das Licht wurde heller und heller. Der Sog an ihrem Körper wurde immer stärker. Sie wurde zum Licht gezogen.

„Du bist eine Kuh!“

Es riss Monika nach vorne. Um sie herum war nur noch Licht. Nichts als hellgelbes Licht.

„Du bist eine Kuh!“ Die Stimme dröhnte lange nach, bevor sie in der Unendlichkeit verklang.

Wie eine Welle am Strand zog sich das Licht zurück. Was es freigab, war kein Sand, sondern ein Kuhstall.

Anstelle des allesüberstrahlenden Weiß trat durch von Spinnweben und Schmutz an Milchglasscheiben gefiltertes Tageslicht. Vor sich sah Monika eine von weißbraunem Fell überzogene lange Schnauze. War sie doch wieder in der virtuellen Realität gelandet?

Überall um sich herum hörte sie Schmatzen, Rülpsen, Gurgeln und Pupsen unzähliger Kühe. Jede von ihnen eingepfercht in einen engen Gitterstand, kaum größer als die Kuh selbst. Auch um Monika waren Mettalstäbe. Einzig den Kopf konnte sie ein wenig zur Seite bewegen, für den Körper war auf beiden Seiten kein Spielraum. Bei jeder Bewegung stieß sie an die harten Stäbe.

Wieso fühlten diese sich so echt an? Sie stand doch frei im Zelt. Darin war kein Käfig oder Ähnliches. Wie konnte das sein?

Monika hob die Hand, um sich am Kopf zu kratzen. Zumindest wollte sie das. Es gelang ihr nicht. War sie gefesselt? Wieso konnte sie ihre Hand nicht heben? Sie blickte nach unten.

Anstatt der Hand, hob sie einen Huf, der an einem langen, behaarten Bein hing. Wie konnte das sein? Zweifellos hob sie einen Kuhfuß. Was für eine Simulation war das? Es sah für sie nicht nur aus wie ein Kuhfuß, es fühlte sich auch nicht mehr an wie ihre Hand. Sie konnte keinen Finger fühlen, sie konnte die Hand nicht öffnen oder schließen. Es war, als hätte man die Hand zusammengebunden. Oder schlimmer, ihr die Hand abgehakt und sie hätte nur noch den Unterarmstumpf.

Monika wollte an sich herabblicken, konnte es aber nicht, weil sie den Kopf nicht weit genug in Richtung Rumpf beugen konnte. Sie drehte ihn zur Seite. Alles, was sie sah, war die Flanke eines massigen Kuhkörpers.

Sie wich zurück. Jeder Schritt fühlte sich an als trüge sie einen schweren Rucksack, der ihre Gelenke überbeansprucht. Konnte eine Simulation so real sein? Sie sah nicht nur Bilder aus dem Kuhstall und nahm die Geräusche war, es roch auch wie im Kuhstall und, was sie am meisten beunruhigte, sie fühlte sich wie eine Kuh.

Zumindest nahm sie an, dass sich eine Kuh so fühlte. Sie fühlte sich auf jeden Fall nicht mehr wie sie selbst. Alles fühlte sich fremdartig an, komplett anders. Es fühlte sich an, als wäre sie zur Kuh geworden.

Nein, das konnte nicht sein. Das war doch nicht möglich! Oder doch?

Du bist eine Kuh, hatte der Mann gesagt. Nicht, du fühlst dich wie eine Kuh, oder erlebe, wie sich eine Kuh fühlt, sondern Du bist eine Kuh. War sie zur Kuh geworden? Wie hätte sie verwandelt werden können? Das wäre doch Zauberei. So ein Unsinn. Magie gab es nur in Märchen. In der echten Welt gab es keine Zauberei!

So sehr sie auch versuchte es wegzudiskutieren, Monika kam zu keinem anderen Schluss. Sie musste verwandelt worden sein. Vielleicht war die Assoziation des Mannes im Supermarkt mit einem Magier doch nicht so weit hergeholt.

Wie Wasser durch feuchten Sand sickerte die Erkenntnis in ihr Bewusstsein. Der Mann hatte sie in eine Kuh verwandelt. Sie war eine Kuh geworden. Ihr wurde nicht vorgespielt, wie sich eine Kuh fühlte, sie war zu einer leibhaftigen Kuh geworden.

Als wehte ein Wirbelsturm durch ihren Kopf flogen Monikas Gedanken hin und her. Von Kann das sein? über Wie komme ich hier wieder raus? bis hin zu Wie lebe ich als Kuh? Antworten auf diese Fragen für Monika unerreichbar wie der Horizont.

Als die Erkenntnis, dass sie womöglich für den Rest ihres Lebens eine Kuh bleiben würde, in ihr Bewusstsein sickerte, spürte sie Panik in sich aufsteigen. Ihre Atmung beschleunigte sich ebenso wie ihr Herzschlag. Sie spürte den Puls in ihrem Hals. Ihr wurde übel. Dabei handelte es sich nicht um eine leichte Übelkeit wie bei einer Busfahrt über eine Passstraße. Auch nicht um die Übelkeit, die ein heftiger Kater mit sich bringt. Die Übelkeit ging auch deutlich über die Übelkeit einer intensiven Norovirusinfektion hinaus. Monika hatte das Gefühl, dass, wenn sie erbrechen würde, all ihre Organe aus ihrem Körper schießen würden. Sie wusste nicht, ob dies die Panik war oder die Übelkeit, die man empfindet, wenn man vier Mägen hat.

Ich muss hier raus! Wie komme ich hier raus?

Egal in welche Richtung sich Monika bewegte, sie stieß nach wenigen Zentimetern an harte Metallstangen. Sie konnte nur ihren Kopf durch zwei bewegliche Stäbe stecken, die zusammen ein ‚V‘ ergaben. Dies erlaubte es ihr aber nur, an das gammlige Gras zu kommen, das vor ihr lag, mehr grau als grün war und roch wie drei Jahre alte Joggingschuhe. Ihr massiger Körper passte nicht ansatzweise durch die Öffnung.

Der letzte Weg

Eine laute Sirene ließ Monika zusammenzucken. Das rotierende Licht oranger Warnleuchten ließ Schattengeister durch den Stall tanzen. Ein metallisches Klacken war zu hören. Als Monika nach der Quelle suchte, erkannte sie, dass die Kühe sich nach hinten bewegten. Offenbar waren ihre Pferche geöffnet worden.

Sie würde zumindest aus dem Stall kommen. Ein Lichtstrahl, der durch die dunkle Wolkendecke fiel. Schnell ging auch sie zurück. Tatsächlich stieß sie dieses Mal nicht an Metallstangen. Stattdessen kam sie in einen schmalen Gang, der an der Wand hinter den Kuhständen vorbeiführte. Sie folgte den anderen Kühen, die sich wie die Autos im Feierabendverkehr voranschoben.

Ja, sie gingen auf die Tür zu. Sie würde Tageslicht sehen. Draußen war die Wahrscheinlichkeit größer eine Lösung für ihre Probleme zu finden.

Endlich kam auch Monika zur Tür. Sie bog um die Ecke, erwartete Sonnenstrahlen, blauen Himmel, saftiggrüne Wiesen, das bilderbuchidyll jeder Milchwerbung. Schneller als ein Blatt Papier im Lagerfeuer verschwand die heile Phantasiewelt aus ihrem Kopf, als sie um die Ecke blicken konnte.

Statt Sonne blaues Neonlicht, statt Himmel türkise Stahlwände, statt saftig grüner Wiesen eine LKW-Laderampe. Ein Tiertransporter.

Wo bringt der uns hin?

Monika blieb stehen, wollte zurück. Sie stieß an die Kuh hinter sich, die stoisch weiterlief, Monika voranschob. Ein großer Mann, den sie bislang nicht gesehen hatte, trat an sie heran, schlug ihr mit der Hand auf die Schulter. Sie hörte seine Stimme, konnte nichts verstehen. Es erinnerte sie an Affenschreie. Sie verstand die Worte des Mannes nicht, spürte nur die Bedrohlichkeit, die in ihnen lag.

Mit dem lege ich mich lieber nicht an.

Sie ging zwei Schritte weiter.

Wieso sollte ich mich nicht mit ihm anlegen? Ich bin eine Kuh. Ich bin zigmal so schwer wie der Mann. Was soll er mir schon tun?

Monika schob ihren Körper in Richtung des Mannes. Mit ihrem Gewicht könnte sie jeden zerquetschen. Vielleicht war nicht alles schlecht daran, eine Kuh zu sein.

Bevor sie ihren Triumph genießen konnte, spürte sie einen brennenden Schmerz, der sich in einer langen Linie über ihre Rippen zog. Wenige Millisekunden nach dem Schmerz folgte der laute Knall einer Peitsche. Das sollte er ihr tun. Wieder hörte sie die laute Stimme. Noch aggressiver.

Langsam ließ der Schmerz nach. Das Brennen wurde zu einer warnenden Wärme. Sie folgte den anderen Kühen in den LKW. Im LKW sollte ihr nichts passieren.

Aber wer weiß, wo der LKW sie hinbringt?

Das Ende eines kurzen Lebens in der Massenvernichtungsfabrik

Obwohl der LKW bereits voll schien, wurden immer weitere Kühe auf die Ladefläche gezwängt. Irgendwann standen die Kühe so eng, dass an Umfallen nicht mehr zu denken war. Auch eine Art der Ladungssicherung.

Außer den Körpern der Kühe neben sich und der Decke des LKW-Anhängers konnte Monika nichts erkennen. Sie spürte das Beschleunigen und Bremsen, die Kurven, das Wackeln von unebenem Untergrund. Sie hätte aber nicht sagen können, wie lange die Fahrt dauerte oder wohin sie fuhren.

Irgendwann spürte sie, dass der LKW rückwärts fuhr. Der charakteristische Warnton bestätigte sie. Wenig später hörte sie das mechanische Geräusch der Ladeklappe, die geöffnet wurde. Wie Wasser beim Öffnen der Schleusentore floss die Fleckviehmasse aus dem Laster. Links und rechts standen zwei Männer mit weißen Haarnetzen und weißen Plastikschürze, die dafür sorgten, dass keines der Tiere Reißaus nahm.

Irgendwann schritt auch Monika über die Laderampe. Als sie auf weißen Fliesenboden trat, rutschte sie leicht aus, konnte aber einen Sturz vermeiden. Auf vier Beinen zu laufen hat auch Vorteile.

Über ihnen hingen Leuchtstoffröhren in unverkleideten Leuchten. Einige flackerten immer wieder, was bei Monika das Bedrohliche Gefühl eines Gewitters auslöste, das einen glauben ließ, das eigene Leben ginge gleich zu Ende. Vielleicht trog sie dieses Gefühl nicht.

Sie wurde mit den anderen Tieren in einen schmalen Gang geführt, der gerade bereit genug für ein Tier war. Wenig später kam die Kuhkarawane gänzlich zum Stehen. Eingepfercht zwischen zwei Kühen und gekachelten Wänden hatte Monika wieder in etwa die Bewegungsfreiheit, die sie auch im Stall gehabt hatte. Allerdings ging es hier Kuh um Kuh vorwärts. Wie lange es dauerte, bis sie wieder eine Kuhlänge nach vorne kam, konnte sie nicht sagen.

Wie im Stall roch es nach Kuhdung und Urin. An die Stelle des zu vergammeln beginnenden Grases trat Eisengeruch.

Wieso war dieser hier so intensiv, wo sie doch zwischen Kacheln und nicht mehr zwischen Gitterstäben standen?

Eine gefühlte Ewigkeit ging es so weiter, doch die Kühe muhten schicksalsergeben wie Märtyrer vor sich hin, anstatt zu versuchen, Hades noch einmal zu entkommen.

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Die letzte Tür

Irgendwann verschwand die Kuh vor Monika hinter einer Tür, die sich vor Monika wieder schloss. Was wartete dahinter? Was würde mit ihr geschehen?

Ein metallenes Rolltor, Kachelwände, steriles Licht. Wie hatte sie das nicht früher bemerken können? Sie befand sich im Schlachthaus. Wieder ergriff sie Panik.

Weg hier! Raus! Sie musste fliehen! Nur wie? Sie wollte rückwärtslaufen, doch traf auf eine Kuh und erntete nur mürrische Gemuhe. Kein Ausweg. Nicht links, nicht rechts, nicht hinten.

Ratternd öffnete sich das Tor.

Nein, nicht da hinein. Nein! Wir müssen zurück wollte sie den anderen zurufen. Das Einzige, das ihrer Kehle entwich, war ein Muh. Allerdings schien sie nicht die Sprache der Kühe zu sprechen, obwohl sie nun selbst eine war. Zumindest konnte sie die anderen nicht zum Handeln veranlassen.

Stattdessen wurde sie von der Kuhmasse hinter sich weitergeschoben, weiter durch das offene Tor. Mit einem dröhnen schloss sich das Tor.

Monika drehte den Kopf und sah, dass es nach hinten keinen Ausweg mehr gab. Als sie den Kopf wieder nach vorne drehte, blickte sie auf weiße Gummistiefel, die unter einer weißen Plastikschürze hervorschauten. Sie blickte nach oben und sah in das Gesicht eines Mannes, der Mitte 20 sein mochte, dessen Blick aber bereits mehrere Leben hinter sich zu haben schien.

Der Mann setzte einen langen Stab der Aussah wie der Griff einer großen Taschenlampe, bei dem an Stelle der Glühbirne ein vorne abgeflachter Bolzen war, auf Monikas Stirn. Monikas Unterkiefer sank nach unten.

Sie wollte protestieren, wollte fliehen, wollte den Mann angreifen. Aber sie war starr als hätte sie Medusa ins Gesicht geblickt. Das Gesicht der Medusa war das Gesicht eines Mannes, der Teil einer industriellen Tötungsmaschine war. Der Teil, der noch nicht von Maschinen übernommen werden konnte (oder durfte), der aber schon vor langer Zeit jegliches Empfinden vom mechanischen Funktionieren seines Körpers abgekoppelt hatte, um nachts zumindest noch ein paar Stunden ohne Alpträume zu schlafen.

Mit einer winzigen Bewegung seines Daumens löste der Mann das Bolzenschussgerät aus. Monika spürte einen heftigen schlag auf den Kopf. Ihre Beine gaben nach. Ihr massiger Körper klatschte wie ein nasser Waschlappen auf den Boden.

Der Schmerz, der ihren Körper durchfuhr, fühlte sich an wie der, wenn man sich direkt den Nerv am Ellbogen stößt, nur dass er nicht nur ein Gelenk, sondern jedes einzelne durchfuhr.

Ein Ende wie Millionen andere

Als der Schmerz langsam abebbte, wollte Monika aufstehen, doch kein Muskel bewegte sich. Sie lag gelähmt da. Vermutlich hätte der Bolzenschuss sie auch bewusstlos machen sollen. Hätte.

Sie hörte das gedämpfte Muhen der Kühe, die noch vor der Tür warteten, ahnungslos, was sie dahinter erwartete, hörte das quatschende Geräusch von Gummistiefeln auf nassen Kacheln, hörte das Rascheln von Ketten, roch den Duft des gewaltsamen Todes, eine Mischung aus Angstschweiß, Exkrementen und Blut. Mindestens zwei davon stammten von ihr selbst.

Schlachtung einer Kuh aus Massentierhaltung
Quelle: ARIWA

Ein Mann ging an ihr vorbei, beugte sich hinab, wickelte eine Eisenkette um ihr rechtes Hinterbein. Ein mechanisches Rattern ertönte, die Kette spannte sich. Mit einem Ruck wurde Monikas schlaffer Körper gedreht und ein kurzes Stück über den Boden geschleift, bevor er angehoben wurde. Monika spürte, wie sie Stück für Stück den Kontakt zum Boden verlor. Erst nur die Hinterbeine, die Hüfte, der Brustkorb, die Schulter. Schließlich auch der Kopf.

Nun hing sie vollends in der Luft, ein Bein von der Kette gehalten, die anderen schlaff nach unten wie die Äste eines Christbaums zwei Wochen nach Weihnachten. In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie ein ähnliches Schicksal ereilen würde.

Sie spürte eine Hand, die ihr linkes Vorderbein packte, sie ein wenig zur Seite drehte. Sie sah ein Messer mit einem weißen Plastikgriff, die Klinge so oft geschliffen, dass sie eher aussah wie ein Spieß als ein Messer.

Wie viele Kehlen mochten damit schon durchtrennt worden sein?

Diese abgewetzte Klinge war es also, das letzte Rädchen in der Vernichtungsmaschine an deren Beginn Milliarden winzige Wesen stehen, die so voll Hoffnung das Licht erblicken, das niemals das der Sonne sein wird, die vom ersten bis zum letzten Atemzug gefilterte Luft atmen, deren kleine Füßchen, die zum Scharren, Laufen, Springen gemacht sind, nie mehr als ein paar Schritte am Stück laufen werden, deren größte Freude es sein würde, wieder eine Ration von dem viel zu hochkalorischen Futter zu bekommen, das mit ihrer natürlichen Ernährung so viel zu tun hatte, wie Erdbeerjoghurt mit den süßen, roten Feldfrüchten, die wir so gerne jeden Sommer pflücken, die mehr Medikamente erhielten als eine Apotheke in einer Kleinstadt, bis eben jenes letzte Rädchen dem, was als Leben zu bezeichnen an Zynismus grenzte, ein Ende setzte.

Dies war Monikas letzter bewusster Gedanke. Der nächste war brennender Schmerz an der Kehle.

Sekunden später hörte sie ein Röcheln. Laut. Nass. Das Röcheln kam aus ihrem Hals, in dem nun ein breiter Schnitt klaffte.

Luft, sie brauchte Luft. Es fühlte sich an, wie wenn ihr beim Tauche die Luft ausging und sie auftauchen musste. Sie konnte aber nicht auftauchen. Stattdessen wurde sie immer weiter in die Tiefe gezogen. Der Druck auf der Lunge wurde größer, die Luft in ihrem Körper weniger. Sie hatte das Gefühl, gleich würde ihr Körper zerreißen. Der Druck stieg weiter. Luft, Luft, Luft! Sie brauchte Luft. Stattdessen kam Finsternis.

„Mama, steh auf! Wir wollen doch zum Love Earth Festival!“

Monika schreckte hoch, Sophie stand vor ihr, grinste sie an. Monika blickte sich um. Sie war in ihrem Schlafzimmer. Nachthemd und Bett schweißnass. Sie atmete tief ein. Nie hatte es sich so gut angefühlt, die kühle Luft in der Lunge zu spüren.

„Ja, gleich“, sagte sie und nickte ihrer Tochter zu.

Florian streckte seinen Kopf zur Tür herein. „Ma, was gibt es heute Abend zu essen?“

„Gemüse“, antwortete Monika keuchend. „Gemüse!“

Plastik – (Un-)Heilsbringer für die Welt

„Ich packe Ihnen das Obst in die Plastiktüte, weil die Weintrauben noch ein bisschen nass sind“, sagte der Obsthändler und steckte die Äpfel, Pflaumen, Orangen, Bananen und Weintrauben in eine weiße Tüte aus so dünnem Plastik, dass man gar nicht merkte, dass man etwas zwischen den Fingern hatte, wenn man nur eine Lage anfasste. In roter Schrift prangte das Obst und Gemüse Algül-Logo darauf, bei dem die beiden ‚l‘ und das ‚gü‘ so gestaltet waren, dass sie wie die Hagia Sophia aussahen. Ob etwas derartiges in der Türkei als Blasphemie ausgelegt und Herr Algül dafür von Religionsfanatikern angegangen worden wäre? Monika wusste es nicht und die Türkei war weit weg.

Nicht mehr weit weg war der Strand, an dem Monika und ihre Familie in weniger als 24 Stunden die winzigen Körnchen an der dünnen Haut zwischen ihren Zehen würden kitzeln spüren.

„Stimmt, Plastik hält einfach! Eine der besten Erfindungen aller Zeiten“, sagte Monika lachend. Hätte sie geahnt, was sie am nächsten Abend am Strand entdecken würden, hätte sie diesen Satz sicher nicht gesagt.

„Ja, das stimmt. Dann einen schönen Urlaub!“, sagte Herr Algül und winkte mit der Hand zum Abschied.

„Danke“, sagte Monika und verließ den Laden.

Armee der Plastiktuben

Bevor sie nach Hause fuhr, besorgte sie noch Sonnencreme, eine Tube Fleckentferner und Kosmetikartikel in Reisegröße, die sie ins Handgepäck packen würde, falls der Koffer nicht mit ihnen am Urlaubsort ankommen sollte. Nach all den Berichten über verspätete oder verlorene Koffer hatte man das Gefühl, eher im Lotto zu gewinnen, als mit allen Koffern am Urlaubsort anzukommen.

Wie eine Armee kleiner bunter Plastiksoldaten standen die kleinen Tuben und Fläschchen aufgereiht auf der Kommode, bevor Monika sie in einen Gefrierbeutel mit Zipverschluss packte, um bei der Sicherheitskontrolle keine Probleme zu bekommen.

Plastik Taschen

„Kannst du mir bitte noch drei alte Einkaufstüten bringen?“, rief Monika zu Holger in die Küche.

„Wo sind die?“

„In dem Fach über dem Kühlschrank“

„Wieso haben wir mehr Einkaufstüten als ein Discounter?“, fragte Holger, als er wenige Augenblicke später zu Monika ins Schlafzimmer kam.

„Ach, man kann nie genug Plastiktüten haben“, sagte sie. Hätte Monika gesagt, dass sie am nächsten Tag einen Marathon gegen Chewbacca und Kermit der Frosch laufen würde, Holger hätte nicht ungläubiger gekuckt, blieb aber stumm wie ein Kartäuserbruder.

Nur die harten kommen in den Plastikgarten

„Was hast du denn gemacht?“, fragte Monika, als sie Florian sah, der mit zwei aufgeschürften Knien nach Hause kam.

„Ach, wir haben heute auf den Kunstrasenplatz trainiert. Wenn du da rutschst, schürfst du dir sofort alles auf. Das Plastikgranulat wirkt wie Schleifpapier.“

„Brauchst du Pflaster?“

„Ja, wäre gut. Sonst bleibt wieder die Hose dauernd kleben.“

Monika lief schnell ins Badezimmer, holte die Tüte mit den Pflastern. Florian hatte sich unterdessen auf die Couch gesetzt. Monika setzte sich neben ihn, nahm ein Pflaster aus der Verpackung, zog die beiden Plastikstreifen von der Rückseite ab und klebte das Pflaster auf Florians Knie. Da der eine Pflasterstreifen die Wunde nicht ganz bedeckte, klebte Monika überkreuz einen zweiten darüber. Das Gleiche machte sie auf der anderen Seite. Mit den beiden Pflasterkreuzen auf seinen langen dürren Teenagerbeinen sah Florian aus wie eine Comicfigur. Um ihn nicht zu ärgern, verkniff sich Monika einen lustig gemeinten Spruch.

„Kannst du so überhaupt an den Strand?“

„Auf jeden Fall! Nichts kann mich vom Strand fernhalten.“

„Aber das Salzwasser wird in den Wunden brennen.“

„Ach, das halt ich schon aus.“

„Im schlimmsten Fall bekommst du Plastikstrümpfe, die bis zu deinen Oberschenkeln gehen“, sagte Monika mit einem spöttischen Zwinkern.

„Klar, damit ich wie eine Transe mit Plastikstrapsen aussehe.“

Monika boxte Florian leicht gegen den Oberarm. „Ach, sag nicht so Zeug.“

„Du hast doch angefangen“, sagte Florian lachend.

Plastik am laufenden Band

„Mama, sollen wir unsere Koffer auch so einwickeln lassen?“, fragte Sophie und zeigte auf die Foliermaschiene neben der Gepäckabgabe, mit der gerade die Koffer einer Familie eingewickelt wurden, bis sie aussahen wie zu eckig geratene Dönerspieße.

„Das brauchen wir nicht, wir haben ja ganz normale Koffer.“

„Aber die doch auch.“

„Vielleicht haben sie Angst, dass die Koffer aufgehen, weil sie so viel Gepäck haben.“

„Dann brauchen wir das auf dem Heimflug, wenn ihr beide wieder so viele superschöne Souvenirs von fliegenden Händlern kauft“, sagte Holger und drückte Monika einen Schmatz auf die Wange.

„Das sind keine Souvenirs, das sind Accessoires. Sonnenbrillen, Armreifen, Haarklammern, Ohrringe. Es muss doch immer alles zum Outfit passen. Das verstehst du nicht, weil du ein Mann bist. Auch wenn wir das natürlich nur für euch Männer machen“, sagte sie und klimperte mit den Augen als wäre sie ein Mascara-Modell beim Shooting.

„Yap, ich versteh auch nicht, wieso man diesen ganzen Krempel braucht“, pflichtete Florian bei. „Und für mich muss eine Frau sowas nicht machen.“

„Naja, wart noch ein, zwei Jahre“, sagte Monika grinsend.

„Was heißt hier warte noch?“, fragte Florian mindestens mit der gleichen Entrüstung, mit der ein erzkatholischer Priester auf Geschichten über Homosexualität reagiert.

„Lasst uns gleich durch die Sicherheitskontrolle geben, dann können wir uns noch gemütlich einen Kaffee kaufen, wenn wir am Gate warten“, sagte Holger, womit er Monika geschickt aus dem Minenfeld der aufkeimenden Männlichkeit ihres Sohnes manövrierte.

„Oh ja, Kaffee brauche ich!“, stimmte Monika zu.

Plastikgadget vs. Flugsicherheit

„Ist das ihr Koffer?“, fragte der Mitarbeiter hinter der Gepäckdurchleuchtung.

„Ja“, sagte Monika unsicher. Hatte sie doch etwas Verbotenes dabei?

„Kommen Sie bitte kurz mit mir zur Seite, ich muss Ihren Koffer öffnen“, sagte der Mann, wobei die Schwingung in seiner Stimme einem straff gespannten Seil entsprach.

Als Monika vor ihm stand, streifte sich der Mann zwei lila Einmalhandschuhe über, öffnete mit einer routinierten Handbewegung den Reisverschluss und klappte den Koffer auf. Monika fühlte sich wie beim Warten auf das Ergebnis der Alkoholkontrolle, wenn man mit dem Auto angehalten wurde. Obwohl man wusste, dass man nicht zu viel getrunken hatte, war man sich nie ganz sicher, ob das Gerät das auch wusste.

Gezielt suchte er in der rechten oberen Ecke und zog nach wenigen Sekunden einen länglichen blauen Plastikstab mit abgerundeten Ecken heraus.

„Was ist das?“, fragte er. Monika spürte eine Erleichterung, als hatte man ihr den großen Koffer, den sie aufgegeben hatten, endlich von den Schultern genommen. Sie lächelte verlegen, streckte vorsichtig die Hand aus und sagte:

„Das ist ein Reiseventilator. Darf ich es Ihnen zeigen?“ Der Mann zog die Augenbrauen zusammen, reichte ihr den Plastikstab und sagte:

„Bitte.“

Monika nahm den Stab, drückte einen kleinen Knopf, woraufhin der Plastikstab auseinanderklappte und sich an der oberen Seite drei Rotorblätter entfalteten. Sie drückte einen weiteren Knopf und der Rotor begann sich zu drehen. Ihre Haltung entsprach nun der der Verkäuferin bei einer Tupperparty, die gerade voll Inbrunst und Leidenschaft eine Must-Have-Errungenschaft wie die Bananendose in Bananenform oder den Eiertrenner vorstellt und sich wundert, warum ihr Publikum die Begeisterung nicht teilt.

Demonstrativ richtete sie den Ventilator auf sich. Als sie ihn auf den Sicherheitsmitarbeiter richten wollte, hob dieser ungerührt wie eine britische Palastwache die Hand und sagte:

„Schon gut. Sie können gehen.“

„Danke“, sagte Monika ein wenig enttäuscht, dass der Kontrolleur nicht faszinierter auf ihr total praktisches Gadget reagierte, packte alles wieder in den Handgepäckkoffer und ging zu ihrer Familie, die das Schauspiel aus sicherer Entfernung beobachtet hatte.

„Ich hab Hunger“, sagte Sophie so quengelig, dass sie in einer Schokoriegelwerbung als abgehalfterte Diva dargestellt worden wäre.

Nahrung nah am Plastik

„Möchtest du ein Sandwich mit Schinken, Truthahn oder Mozzarella?“, fragte Holger Sophie als sie vor dem italienischen Imbissstand warteten.

„Mozzarella natürlich!“, sagte Sophie so entrüstet als hätte Holger gefragt, ob sie statt des Mozzarellas Erbrochenes oder Babyschenkel essen wollte. Seit sie eine Doku über Schlachthäuser in der Schule gesehen hatte, reagierte sie immer so.

„Zwei Kaffee, zwei Apfelschorlen, zwei Mozzarellasandwiches, ein Salamisandwich und eins mit Truthahn, bitte“, sagte Holger zum Kassierer.

„Alles?“, nuschelte dieser. Holger nickte und sagte:

„Mit Karte, bitte.“

„Sie dürfen“, sagte der Kassierer und zeigte mit der Hand auf das Kartenlesegerät. Holger legte die Plastikkarte auf und wartete auf den Signalton.

Unterdessen richtete der Kassierer die Bestellung auf ein Plastiktablett, das mit seinen abgeschlagenen Ecken und Schleifspuren, aus denen Plastikfransen hochstanden, den ohnehin nicht zum Speichellaufen aussehenden Sandwiches das letzte Bisschen Appetitlichkeit. Holger trug das Essen zum Tisch, den Monika und Florian bereits besetzt hatten und gab jedem seine Bestellung.

Mit einem lauten Zischen drehte Florian die PET-Flasche auf und trank sie in einem Zug fast zur Hälfte aus, wodurch diese ein knistern wie ein schmelzender Gletscher von sich erzeugte.

„Nicht so hastig“, sagte Holger.

„Sorry, aber ich war am Verdursten“, antwortete Florian und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

Meer aus Plastikflaschen

Sophie riss die Verpackungsfolie auf, nahm ihr Mozzarellasandwich heraus und biss erwartungsvoll hinein wie der Eberhofer Franz in eine Leberkässemmel (Sophie hätte natürlich nicht in eine Leberkässemmel gebissen, höchstens in eine vegane).

„Tomaten und Mozzarella schmecken wie die Verpackung“, sagte sie und verzog das Gesicht.

„Woher weißt du, wie die Verpackung schmeckt?“, fragte Monika.

„Na, nach Plastik halt“, sagte Sophie. „Probier mal.“ Monika biss in ihr Mozzarellasandwich.

„Ich find’s gar nicht so schlecht“, sagte sie. Gut, das Sandwich war jetzt nicht das beste Essen, das sie je hatte, aber was sollte man von einem Flughafenimbiss erwarten. Süß, salzig, satt – das reichte Monika.

„Na, dann lass dir deinen Plastikkäse schmecken!“, sagte Sophie und schob ihr halb gegessenes Sandwich von sich weg.


Smarticular (Hg.): Plastiksparbuch

Plastikmüll, der sich zu Millionen Tonnen in der Umwelt anreichert, gehört zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Dabei ist gesundheitsschädliches oder kurzlebiges Plastik fast immer leicht vermeidbar! Alle wichtigen Fakten rund um Plastik und die Probleme, die es verursacht, haben wir im Plastiksparbuch zusammengestellt, zusammen mit über 300 Anleitungen und Ideen für sinnvolles Plastiksparen im Alltag.


Nützliches in Plastikfolie

Beim Boarding verteilte die Stewardess mit einem professionellen Barbiepuppenlächeln kleine mit dem Logo der Fluggesellschaft bedruckte Karamellbonbons. Holger wickelte noch auf dem Weg zu ihrer Sitzreihe die Plastikfolie vom Bonbon, steckte es in den Mund und schloss genießerisch die Augen.

„Du weißt schon, dass die für den Start sind?“, sagte Monika.

„Wieso für den Start?“, fragte Holger, wobei er nur nuschelnd sprechen konnte mit dem großen Bonbon im Mund.

„Das Lutschen hilft den Druck in deinen Ohren auszugleichen, wenn das Flugzeug in die Höhe steigt.“

„Okay, dann lutsche ich ganz langsam“, sagte Holger grinsend.

„Wow, kuckt mal, es gibt sogar Kuscheldecken“, rief Sophie und wedelte mit ihrer noch eingepackten Decke vor den Augen der anderen herum. „Darf ich die nachher mitnehmen?“

„Nein, die werden mehrfach verwendet. Nach der Reinigung werden sie wieder in Plastikfolie verpackt, damit du weißt, dass sie sauber ist.“

„Okay, aber zumindest hier habe ich’s dann kuschelig“, grinste Sophie, während sie die ausgepackte Wolldecke um sich wickelte als würde sie sich wie eine Raupe verpuppen. Die Plastikfolie stopfte sie wieder in das Fach an der Rückenlehne des Vordersitzes.

Plastikmeer an Land

„Schau mal Mama, wie klein die Häuser schon sind“, sagte Sophie kurze Zeit nach dem Start.

„Ja, sieht aus wie bei einer Modelleisenbahn“, sagte Monika.

„Nur dass Menschen nicht aus Plastik sind.“

„Manche zum Teil schon“, sagte Holger grinsend.

„Möchten Sie Wasser?“, fragte die Stewardess und reichte Monika und Sophie jeweils eine kleine Wasserflasche.

„Gerne, danke“, sagte Monika und nahm die Flaschen.

„Nur 200 Milliliter. Ich hoffe, es gibt noch Nachschub“, sagte Florian.

„Falls nötig kaufen wir etwas. Es gibt ja auch den Boardverkauf“, sagte Holger.

„Dann will ich aber lieber eine Cola“, sagte Florian.

„Und ich Apfelsaft“, rief Sophie.

Meer aus Plastik

Quelle: scinexx.de das wissensmagazin: Umwelt. Eine Landschaft aus Plastik

Um aufkeimenden Unmut zu vermeiden, winkte Holger die Stewardess herbei und fragte, ob sie die gewünschten Getränke bereits jetzt bekommen könnten. Wenige Augenblicke später brachte die Stewardess kleine Plastikbecher. Skeptisch betrachtete Florian den Becher, der so dünn war, dass es einem Kunststück glich, ich weder zu zerdrücken noch fallen zu lassen.

„Ist das Kindercola?“, fragte er.

„Wieso Kindercola?“, fragte Monika.

„Na, weil die so klein ist.“

„Der Preis ist eher Luxuscola“, sagte Holger, als er sein Plastikgeld und den Zahlungsbeleg in seine Hemdtasche steckte.

Alles frisch dank Plastik

„Möchten sie Rindergulasch mit Nudeln oder eine Gemüsepfanne?“, fragte die Stewardess, die das Essen verteilte. Monika und Sophie bestellten die Gemüsepfanne, Holger und Florian das Gulasch. Jeder erhielt ein steingraues Plastiktablett mit einer kleinen Aluschale in der Mitte. Daneben befanden sich eine kleine Plastikschüssel mit Salat, die nochmals in Folie gepackt war, damit nichts herausfiel sowie ein kleiner Kuchen, der auf dieselbe Art verpackt war. Das ganze erinnerte an Astronautenessen aus Siebzigerjahre Sience Fiction Filmen.

Florian öffnete die Folie, in der sich Serviette und Besteck befanden, zog das Plastikmesser heraus, betrachtete es, fuhr mit dem Daumen über die Schneide und sagte:

„Ich hoffe, das Fleisch ist klein. Was soll ich damit schneiden?“, fragte er.

„Soll ich dir helfen, mein Kleiner?“, fragte Monika mit einer Stimme wie Omas, die nur mit ‚Dutzi Dutzi‘, ‚A A‘ und ‚Wau Wau‘ zu Babys sprechen.

„Nein, danke. Ich komm schon zurecht“, antwortete er und schob sich das erste Stück Fleisch in den Mund. „Schmeckt.“

„Ja, kann man essen“, bestätigte Holger. „Wie ist euer Gemüse?“

„Naja, al dente ist es nicht mehr, aber geschmacklich okay“, antwortete Monika. „Der Salat ist nicht schlecht.“

„Dann kannst du meinen auch haben“, sagte Florian und reichte ihr die Plastikschüssel und das kleine Tütchen mit dem Dressing.

„Der würde dir auch nicht schaden“, sagte Monika, als sie den Salat nahm.

„Ich muss doch auf meine Sportlerfigur achten“, sagte Florian grinsend und rieb mit der Hand über seinen Bauch.

„Und ich nicht, oder was?“, fragte Monika mit der gleichen Geste, wobei sie deutlich mehr zu reiben hatte.

„Hast du eine Sportlerfigur?“, fragte Florian lachend.

„Sei nicht so frech, junger Mann“, sagte sie gespielt streng und drohte mit dem Zeigefinger.

„Dann klink ich mich jetzt mal lieber aus, bevor ich noch ernsthaft Ärger bekomme“, sagte Florian, riss das Plastiktütchen mit den Kopfhörern auf, stöpselte diese ein und suchte über die Bedienknöpfe in der Plastikverkleidung des Sitzes vor sich einen Film.

„Feigling“, sagte Monika und schnaubte wie Clint Eastwood, wenn dessen aus Angst das Weite gesucht hatte.

Obst unter dem Plastikgletscher

„Mama, da unten liegt Schnee!“, rief Sophie und klopfte Monika aufgeregt auf den Arm als würde sie eine Bongotrommel spielen.

„Ach, Sophie. Schnee? Wir haben doch Sommer und wir sind gerade nicht über den Bergen“, antwortete Monika.

„Aber schau doch, da ist alles weiß!“

Monika beugte sich über ihre Tochter, um besser aus dem Fenster blicken zu können. Tatsächlich war unter ihnen alles weiß. Monika stutze, selbst überrascht von dem Anblick.

„Das sind Folien“, sagte sie dann. „Weiße Folien.“

„Und warum ist das ganze Land mit Plastik bedeckt?“

„Das sind Gewächshäuser“, sagte Monika. „Aber du hast Recht, man könnte meinen, es ist Schnee. Und es ist Wahnsinn, wie viele da stehen.“

„Naja, von hier wird ein guter Teil Europas mit Tomaten und Gurken versorgt“, sagte Holger.


Charlotte Schüler: Einfach plastikfrei leben

Ob zu Hause, im Büro oder auf Reisen: Wir benutzen ständig Plastik und produzieren viel zu viel Müll. Charlotte Schüler hatte vor einigen Jahren genug von diesem unachtsamen Umgang mit unserem Planeten und lebt seitdem (nahezu) plastikfrei. Ihren nachhaltigen Alltag dokumentiert die junge Münchnerin mit großem Erfolg auf ihrem Blog und in den sozialen Medien.


„Und wozu die Gewächshäuser? Hier ist es doch warm“, sagte Monika.

„Warm ja, aber auch trocken. Unter dem Plastik kann man leichter ein fast tropisches Klima erzeugen, indem das Gemüse gut wächst.“

„Das erklärt, warum das Gemüse oft nach Plastik schmeckt“, sagte Monika lachend.

„Ich weiß nicht, ob es da einen direkten Zusammenhang gibt.“

Sophie beugte sich vor, blickte ihren Vater fragend an und sagte: „Papa, das war ein Witz!“ Dabei fasste sie sich mit der Hand an die Stirn.

„Danke, meine Tochter“, sagte Monika und lächelte zufrieden in sich hinein wie ein Kind, das noch ein Bonbon in einer schon leer geglaubten Süßigkeitentüte gefunden hat.

Plastikkreislauf mal anders

„Ah, jetzt ist Urlaub!“, sagte Monika und saugte ein erstes Mal genüsslich an dem schwarzen Plastikstohhalm in ihrem Aperol Spritz, den sie sich zum Abendessen bestellt hatte, während die Kinder sich noch ihre Cola aus den Plastikflaschen in die bis oben hin mit Eiswürfeln gefüllten Gläser kippten.

„Wollen wir nicht gemeinsam trinken?“, fragte Holger und hob sein Bierglas als Aufforderung zum Anstoßen.

„Entschuldigt, auf einen schönen Urlaub!“, sagte Monika.

„Auf einen schönen Urlaub“, sagte Holger. Alle stießen an und tranken als hätten sie erlesensten Champagner in ihren Gläsern.

„Wusstet ihr, dass es hier drei Kirchen gibt, die alle im Mittelalter erbaut wurden? Eine davon sogar vor über tausend Jahren. Die müssen wir besuchen“, sagte Holger.

„Ne, Dad. Strandurlaub war das Motto!“, sagte Florian.

„Ja, schon, aber ihr wollt doch nicht eine ganze Woche nur am Strand liegen, oder?“

„Doch, genau das. Einfach chillen!“, sagte Florian.

„Aber nur Strand ist doch langweilig!“

„Stimmt, deswegen gehen wir auch ins Meer!“, warf Sophie ein.

Da Monika wusste, dass die Diskussion sich wie ein Kinderkarussell auf dem Rummel mit der immergleichen Melodie ständig weiter um sich selbst drehen würde, klinkte sie sich geistig aus der Unterhaltung aus und genoss den Blick auf die untergehende Sonne, deren Farbe sich zunehmend dem kräftigen Orange ihres Getränks anpasste. Dabei kam sie nicht umhin, die Unterhaltung des Paares am Nebentisch mitzuhören.

Der Mann mochte knapp über sechzig sein, trug blaue Segelschuhe ohne Socken und eine beige Chinohose, die seine leicht gebräunten Beine zeigte, auf denen erste Altersflecken und Besenreiser zu erkennen waren. Das farblich zu den Schuhen passende Sakko hatte er zum Essen über die Stuhllehne gehängt, die Ärmel seines weißen Hemdes waren aber mit Manschettenknöpfen zugeknöpft, in die die Buchstaben ‚T‘, ‚G‘ und ‚J‘ eingraviert waren.

Seine Frau sah ein paar Jahre jünger aus. Ob sie es tatsächlich war oder ob dies das Ergebnis eines guten Chirurgen war, ließ sich nicht eindeutig entscheiden. Dass Körper nicht mehr dem entsprach, was Mutter Natur ihr mitgegeben hatte, sehr wohl. Sie trug weiße Ledersandalen mit goldenen Verzierungen, ein knielanges weißes Kleid, dazu eine Perlenkette und passende Ohrringe. Zusammen wirkten sie wie die Unternehmergattin aus Sturm der Liebe, die sich zum Traumschiffkapitän verlaufen hatte.

Zunächst hatte Monika die Unterhaltung der beiden eher als zusätzliches Hintergrundrauschen neben dem sanft hin und her wogenden Meer wahrgenommen, bis sie hörte, wie die Frau sagte:

„Du willst doch nicht den Seeteufel essen, oder?“

„Eigentlich hatte ich schon daran gedacht“, antwortete er.

Wieso sollte der Mann keinen Seeteufel essen? Fisch war doch gesund. Bevor Monika sich weiter darüber Gedanken machen konnte, ließ die Frau sie indirekt an ihrem Wissen teilhaben.

„Seeteufel ist doch einer der Fische mit der höchsten Quecksilberbelastung. Und wer weiß, welche Schwermetalle und sonstige Schadstoffe sonst noch enthalten sind.“

„Aber die werden doch kontrolliert“, sagte der Mann mit einer Stimme wie der Bundespräsident bei der Neujahrsansprache.

„Ja, bei uns zu Hause vielleicht, aber hier?“, sagte die Frau und machte eine unbestimmte Kreisbewegung mit ihrer Hand, wobei sie einen Gesichtsausdruck machte, als würde ein Obdachloser, bei dem man schon über mehrere Meter riechen konnte, dass er schon länger keine Waschgelegenheit mehr gehabt hatte, versuchen sie zu umarmen.

„Gut“, sagte der Mann. „Dann nehme ich die Jakobsmuscheln. Da habe ich neulich gelesen soll die Belastung gering sein.“

Fisch Müll Plastik

Die Frau schüttelte tadelnd den Kopf, wie eine Lehrerin, deren Ungeduld beim Abfragen eines Schülers exponentiell zunimmt, so wie das Ergebnis der Gleichung, die er zu lösen hätte.

„Aber Muscheln enthalten doch riesige Mengen Mikroplastik.“, sagte sie. „Bei Fischen bleibt das Mikroplastik hauptsächlich im Verdauungstrakt. Bei den Muscheln isst du es zwangsläufig mit.“

„Gut, dann vielleicht doch Rindfleisch“, sagte der Mann mit der Schicksalsergebenheit eines geschlagenen Samurai.

„Du sollst doch auf dein Cholesterin achten, Schatz.“

Bevor Monika die von der Frau als zulässig eingestuften Lebensmittel in Erfahrung bringen konnte, spürte sie ein Klopfen auf ihrem linken Unterarm. Sie blickte zu Sophie, die auf den Kellner zeigte, der mit Notizblock, Stift und einem professionellen Lächeln neben ihr stand und auf ihre Bestellung wartete. Wie ein Kampfpilot das Zielgebiet sondierte Monika die Karte. Fisch? Nein! Meeresfrüchte? Nein! Steak? Nein!

„Die Tagliatelle mit saisonalem Gemüse, bitte“, sagte sie mit dem Lächeln eines Kindes, das endlich den Schließmechanismus einer Geheimschatulle geknackt hatte.

„Sehr wohl“, sagte der Kellner, nickte und ging in Richtung Küche.

„Was, kein Fisch?“, fragte Holger.

Monika schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe heute eher Lust auf vegetarisch.“

„Das ist toll, Mami“, sagte Sophie grinsend und umarmte ihre Mutter.

Obwohl sie den zartsalzigen Umamigeschmack von Fisch, der das Meer vor ihr auch noch auf ihren Gaumen gebracht hätte, doch ein wenig vermisste, genoss sie ihre Pasta. So schmeckte sie zwar nicht das Meer, aber die Sonne des Südens dafür um so intensiver in den Zucchini, Paprika, Auberginen und Artischocken, die sich mit der leichten Tomatensoße herrlich an die Nudeln schmiegten. Und das ganz ohne Bedenken wegen Quecksilber, Mikroplastik oder dergleichen. An das Plastikland der Gewächshäuser dachte sie in diesem Moment nicht mehr.

Die Plastikpyramide

„Die machen gerade erst auf“, sagte Florian, als sie am nächsten Morgen um 08:00 Uhr zum Frühstück kamen. „Und ihr Folterknechte reißt mich mitten in der Nach aus dem Bett!“

„Sieben Uhr ist doch nicht mitten in der Nacht“, entgegnete Holger. „Außerdem ist doch schon offen.“

„Ja, aber alles ist noch unter Plastikfolie.“

„Schau, da kommen die Kellner und decken alles ab. Jetzt beruhigt?“, fragte Monika. Schweigend schlurfte Florian in Richtung Buffet.

„Du weißt schon, dass wir nicht in Ägypten sind, oder?“, fragte Holger, als Florian mit seinem Teller zum Tisch kam. Dieser sah ihn an, wie er seinen Mathelehrer ansah, als sie Vektorengleichungen durchnahmen.

„Weil du so eine große Pyramide auf deinem Teller hast“, fügte Holger hinzu und zeigte auf das dreistöckige Gebilde auf Florians Teller.

„Naja, das sind zwei Marmeladen, zwei Nutella, zwei Honig und drei Butter. Für zwei Semmeln halt.“

„Und die gibt’s nur so?“

„Ja, alles einzeln verpackt. Dahinten“, sagte Florian und zeigte in die Ecke des Buffets, in der sechs durchsichtige Plastikschüsseln aufgestellt waren, die alle mit unterschiedlichen kleinen Plastikschälchen gefüllt waren.

„Mmhh, den Kuchen müsst ihr probieren“, unterbrach Monika die Unterhaltung der beiden. „Der schmeckt wirklich klasse!“

„Welcher ist das?“, fragte Holger.

„Der Zitronenkuchen. Hier“, sagte Monika und reichte Holger die Plastikverpackung, in die der Kuchen verpackt war.

„So einen möchte ich auch“, sagte Sophie, die gerade die Reste ihres Erdbeerjoghurts aus dem Becher kratzte. Wenig später kam sie mit einem Kuchenstück und zwei einzeln verpackten Schokocookis zurück. Holger hob gerade die Hand als wollte er protestieren, war durch das Zahnarztbiberlächeln seiner Tochter aber offenbar so entwaffnet, dass er nur seufzte und ihr mit der Hand über den Kopf strich.

„Ein größerer Tischabfall würde nicht schaden“, sagte er, als er verzweifelt versuchte, die Verpackung seines Kuchenstücks so in das Halblitergefäß mit Schwingdeckel zu stecken, dass nicht einer der Marmeladenbehälter auf der anderen Seite herauspurzelte.

Bevor sich Holger weiter als Stapelkünstler versuchen konnte, kam der Kellner und tauschte den Tischabfalleimer gegen einen frischen aus. Der Gedanke, dass es besser wäre, das Frühstück so zu servieren, dass der Tischabfall nicht überfrachtet wird, schien weder beim Personal noch bei der Hotelführung jemals aufgetaucht zu sein. Diesbezüglich schwammen sie mit Monika und ihrer Familie auf einer Welle.


Christoph Schulz: Plastikfrei für Einsteiger

In Folie verpacktes Gemüse, Duschgelpackungen und Plastikpfannenwender – überall begegnet uns Plastik im Alltag, meist völlig unnötig. Unserer Erde zuliebe darauf zu verzichten, erscheint aber oft als sehr aufwendig und kompliziert. Doch der engagierte Umweltaktivist Christoph Schulz beweist, dass ein plastikfreies Leben viel leichter ist, als viele glauben. 


Glasoptik und Plastikklang

„Mama, krieg ich ein Eis?“, rief Sophie, die wie ein nasser Hund tropfend vom Pool auf Monika, die die Ruhe der Sonnenliege genoss, zu rannte.

„Ich möchte auch eins!“, rief Florian, der knapp hinter seiner Schwester angelaufen kam.

„Gut, aber nur, wenn ihr mir einen Virgin Colada mitbringt“, sagte Monika.

„Und mir ein Bier!“, warf Holger noch ein.

Wenige Minuten später kamen die Kinder wieder, jeder einen Plastikbecher mit vier Kugeln Eis, Sahne, Schokosoße und Waffeln in der einen und jeweils ein Getränk für die Eltern in der anderen Hand.

„Ich glaube beim nächsten Mal müssen wir vorher festlegen, wie groß ein Eis ist“, sagte Holger.

„Ach Schatz, wir haben Urlaub. Genieß dein Bier“, sagte Monika und zog an ihrem Virgin Colada, der sie sofort auf eine einsame Südseeinsel beförderte, mit braungebrannten Männern, deren Sixpack nichts mit Bier zu tun hatte.

Holger betrachtete den Bierkrug, an dessen Seiten sich feine Wasserperlen gebildet hatten, die im Sonnenlicht funkelten und von denen Einzelnen langsam nach unten liefen und eine Spur der Kühle und Frische hinterließen. Er klopfte mit seinem Ehering dagegen.

„Erstaunlich“, sagte er. „Sieht echt aus wie Glas, ist aber Plastik.“

„Stimmt, meins auch“, sagte Monika. „Wahrscheinlich, damit es hier keine Scherben gibt, am Pool.“

„Mmmhhh“, brummte Holger und nahm einen weiteren Schluck seines Bieres. „Trotz Plastik kann man einen wunderbaren Urlaub haben.“

Konnte man das?

Plastiküberraschung beim Abendspaziergang

„Wisst ihr, was ich mir wünsche?“, fragte Monika, nachdem alle ihr Abendessen beendet und auch die Nachspeisen bis zum letzten Löffel gegessen waren, nur um die Antwort gleich selbst zu geben:

„Ich möchte noch einen Abendspaziergang im Sonnenuntergang machen. Mit der ganzen Familie!“

„Ach, Ma“, sagte Florian und seufzte theatralisch. „Muss das sein?“

„Ich finde das eine tolle Idee! Ich freue mich schon so aufs Meer!“, sagte Sophie.

„Na komm“, sagte Holger zu Florian und klopfte ihm auf die Schulter. „Das schaffst du.“ Florian verdrehte die Augen und stemmte sich aus seinem Stuhl als wäre er ein Pflegebedürftiger, der nur noch mit seinem Rollator mobil ist.

„Schaut, da ist eine Eidechse“, rief Sophie begeistert.

„Wo?“, fragte Holger und blickte um sich.

„Na da, unter dem Plastikstuhl.“

„Ja, jetzt seh ich sie. Die ist ganz schön groß.“

„Herrlich, der feine Sand, die Wellen, das Rauschen des Meeres“, sagte Monika.

„Wenn wir schon gehen, will ich wenigstens im Wasser gehen“, sagte Florian und zog schon Schuhe und Socken aus. Der Rest der Familie tat es ihm gleich. Schritt für Schritt hinterließen sie ihre Spuren im feuchten Sand, die spätestens mit der übernächsten Welle schon wieder zu bloßer Erinnerung im Gedächtnis des Planeten wurden. Allerdings verschwand nicht alles, was Menschen erzeugten, so schnell wie Fußspuren im Sand.

„Wow, seht euch diesen riesigen Schwarm Möwen an“, sagte Holger und zeigte nach oben auf eine Wolke aus Vögeln, die über ihnen kreiste wie eine Kunstflugstaffel beim großen Finale. Als sie alle nach oben blickten und das kunstvolle Fliegen der Vögel vor dem sich ins Violett verschiebenden Himmel betrachteten, stieß Monika mit den Zehen ihres rechten Fußes an etwas Hartes, das außen fransig flauschig war. Sie blickte nach unten und sagte unwillkürlich:

„Oh mein Gott!“

„Was ist?“, fragten Holger und Florian gleichzeitig und schauten sie fragend an, doch Monika brachte kein Wort hervor.

Sophie schrie laut und schrill auf, als hätte man ihr ein Messer in den Bauch gerammt. Sie drehte sich um, drückte ihr Gesicht an Monikas Brust und umklammerte ihre Mutter so fest sie konnte. Nun sah die ganze Familie, was bei Monika und Sophie einen solchen Stich versetzt hatte. Vor ihnen lag ein toter Albatros, der Bauch aufgeplatzt wie eine reife Melone, die auf den Steinboden fallen gelassen wurde. Allerdings waren keine Organe und Gedärme im offenen Tierkörper zu sehen, sondern Plastikteile in allen Farben, die die Kunststoffindustrie zu bieten hat. Einige waren sogar noch deutlich zu erkennen. Ein neongrünes Feuerzeug, ein roter Schraubenziehergriff und der orangefarbene Deckel einer Getränkeflasche. Kleinere Plastikteilchen leuchteten fröhlich wie Konfetti bei einer Fastnachtsfeier drum herum. Die ewig währende Heiterkeit der Plastikwelt. So praktisch, so langlebig, so beständig.

Quelle: WWF: Das kann kein Meer mehr schlucken

Du musst für deine Bedürfnisse einstehen – Sprich aus, was du willst

„Ich möchte doch nur hin und wieder etwas Schönes machen, verstehst du?“, fragte Monika.

„Ja klar, verstehe ich“, antwortete Cornelia, die schräg wie der Turm in Pisa dasaß, den linken Ellenbogen auf den Tisch gestützt, mit der Faust den Kopf gestützt. Monoton wie das Rührwerk der Kläranlage durchmischte sie den Rest ihres Coconut Margaritas mit den kaum mehr sichtbaren Resten der Eiswürfel und dem Schmelzwasser, das inzwischen der Hauptbestandteil des Cocktails war.

Sie konnte nicht sagen, wie oft sie diesen Satz von Monika heute schon gehört hatte. Endlich unternahmen sie mal wieder etwas zu zweit – ohne Kinder, ohne Männer. Sie wollte tratschen über alte und weniger alte Freundinnen, oder besser Bekannte, die man zwar oberflächlich als Freundin bezeichnete, von denen man aber hoffte, dass sie einen nicht anrufen, wenn sie einmal ernsthafte Probleme haben, da man alles will, nur nicht gezwungen sein, für sie da zu sein und die Untiefen ihrer Seele offenbart zu bekommen.

Die Bedeutung von Freundschaft

Sie wollte endlich mal wieder mit jemandem teilen können, wie es ihr geht, wie es ihr wirklich geht. Nicht dieses oberflächliche ‚Hi, wie geht es dir?‘, bei dem erwartet wurde, dass der Gefragte mit ‚Gut, danke. Und dir?‘ antwortet und einen nicht mit all dem überschüttete, was ihm dem Schlaf raubt, was ihn an seiner Arbeit nervt, wie sehr ihn die Kinder stressen und dass er glaubt, dass seine Frau einen anderen hat, da es sich bei dem ‚Hi, wie geht es dir?‘ nur um eine Grußformel und nicht um Interesse handelte.

Sie wollte all das aussprechen können, was man nie hätte in der Öffentlichkeit sagen können, weil man so etwas halt einfach nicht sagte, weil sich das nicht gehörte. Was würden denn die Leute sagen? Aussprechen, dass sie sich manchmal ausmalte, wie es wäre, ihre schönsten Kleider in einen Koffer zu packen, one-way nach Florenz zu fliegen, sich ein kleines Häuschen mit Garten mit Oliven- und Zitronenbäumen in den sattgrünen Hügeln der Toskana zu mieten und allen Verpflichtungen von Ehe, Kindern, Haushalt und Arbeit zu entfliehen.

Toskana - Traum der geistigen Flucht

Natürlich würde sie das nie tun. Sie liebte ihren Mann, sie liebte ihre Kinder, sie war mit ihrer Arbeit ganz zufrieden und würde all das nie verlassen. Aber manchmal, hin und wieder, ganz selten, kamen solche Gedanken. Die Flucht in den Garten Eden der Phantasietoskana war doch das beste Mittel, um all den Ärger und Frust abzustreifen, wenn man ihn einfach vor dem imaginierten Flieger auf dem Betonboden des Flughafens wie ein vergessenes Gepäckstück zurücklassen konnte. Besonders hilfreich war eine solche Reise, wenn man sie teilen konnte.

Ein solches Teilen, wie es ihr wirklich geht, war nur bei einer guten Freundin möglich, einer wirklich guten. Am besten bei ihrer besten Freundin. Und ihre beste Freundin war Monika. Allerdings war Monika heute nicht in der Lage, gemeinsam das süße Leben im Süden auszumalen als befände sich die Bar, in der sie saßen, inmitten einer jahrhundertealten Hügelstadt aus terrakottafarbenen, von Hand gefertigten Ziegelsteinen, in deren Gassen man in wolkenlosen Nächten noch das Leben im Mittelalter beobachten konnte.

Monika ist zwar in der Bar aber nicht da

Monika war überhaupt nicht in der Lage, bei Cornelia zu sein. Sie war zwar körperlich da, ihr Geist war aber immer noch zu Hause bei ihrem Mann Holger, der an diesem Tag die oberste Sprosse der Leiter der Enttäuschungen für Monika erreicht hatte.

Der Aufstieg auf dieser Leiter begann wenige Wochen nachdem sie in ihr gemeinsam gebautes Haus gezogen waren. Monika liebte das Haus. Sie liebte die Gauben auf beiden Seiten, den Balkon wie er für das Voralpenland typisch war, in dessen Kästen sie im Sommer rote und weiße Geranien pflanzte, die überdachte Terrasse, von der aus man auch während eines Sommergewitters trocken und geschützt auf die Rasenfläche, die den Kindern als Turnboden, Fußballplatz, Spielplatz oder Bühne für unterschiedlichste Theaterstücke – von Western über Piratenkämpfe bis hin zu Weltraumabenteuern – diente, blicken konnte, die ringsum von Korkspindeln, Goldregen, Zierjohnannisbeere, Hibiskus, Forsythien und Flieder eingerahmt wurde wie ein Amphitheater von den Zuschauertribünen. Sie liebte die Treppe aus sandsteinfarbenem Marmor, über die man auf die Galerie gelangte, von der aus man durch zwei Dachfenster in den Sternenhimmel blicken, in eines der Kinderzimmer, ins Elternschlafzimmer oder ins obere Badezimmer gehen konnte. Sie liebte die Küche mit dem rechteckigen Kochblock, an dessen vorderer Seite man wie an einer Bar sitzen konnte, die sich direkt über den Essbereich zum Wohnzimmer hin öffnete, sodass es einen großen Raum gab, indem sich das gesamte Sozialleben der Familie abspielte. Genau dieses Sozialleben war es aber, das die meisten Sprossen in der Leiter der Enttäuschungen bildete.

Sozialleben – nicht vorhanden

Kurz gesagt: Es existierte nicht mehr. Was Monika an ihrem Haus nämlich nicht mochte, war das unsichtbare Band, dessen eines Ende an Holger und dessen anderes Ende in Holgers Hobbyraum befestigt war und dessen Zugkraft zuzunehmen schien, je weiter sich Holger von seinem Hobbyraum entfernte. In seinem Hobbyraum feilte, schliff, schnitt oder bog er wie ein Uhrmacher an mechanischen Teilen oder schrieb die Programme, die den dann fertigen Roboter anwiesen, was er tun sollte. Der Roboter folgt den Programmen wie du deinen Backrezepten, hatte er ihr erklärt. Dass er sie mit hirnlosen Maschinen, die blind Befehlen gehorchten, verglich, steigerte Monikas Begeisterung für Holgers Hobby nicht gerade. Aber sie akzeptierte es.

Das Roboterbauen war nicht das Problem, schließlich hatte er dies auch schon getan, als sie ein Paar wurden. Damals bestand noch kein unsichtbares Band zwischen Holger und seiner Werkbank (die damals auch noch der Küchentisch in seiner Studentenwohnung war). Zumindest war es nicht so stark, dass er sich nicht für einige Stunden hätte entfernen können, um mit Monika Zeit zu verbringen, wobei es eigentlich egal war, ob sie in einem Restaurant im Kerzenschein zu Abend aßen, ob sie ein experimentelles Stück auf einer Kleinkunstbühne ansahen oder ob sie ein Konzert eines Popstars besuchten, dessen Lieder Monika in Holgers Armen geschmeidig werden ließ wie eine Seidenbettdecke. Wichtig war, dass sie beisammen waren, dass sie Erlebnisse hatten, die sie beide in ihr inneres Erinnerungsregal stellen und die sie gemeinsam hervorholen, betrachten und polieren konnten.

Bereits während sie das Haus gebaut hatten, hatten sie begonnen, weniger Zeit mit gemeinsamen Aktivitäten außerhalb des Hauses und mehr mit gemeinsamen Aktivitäten auf der Couch zu verbringen, bei denen die Bewegung sich nach dem sie ihren Feierabend mit Steineschleppen, Mörtel mischen oder Schlitze für die Stromleitungen schlagen verbracht hatten, auf das drücken der Knöpfe der Fernbedienung oder das Führen von Chips, Schokocrossis oder Gummibärchen von der Schüssel in den Mund beschränkte.

Interesse nimmt schnell ab

Nach dem Umzug verbrachten sie zwar auch viel Zeit zu Hause, hatten aber oft Freunde oder Familie zu Gast, da jeder das neue Haus sehen wollte. Nachdem dann die Kinder da waren, wanderten die Besuche vom Abend mit Bier, Wein und Cocktails zu Nachmittag mit Kuchen, Kaffee und Kacka in der Windel.

So wie das Interesse am Haus nachließ, nachdem jeder der Freunde, Verwandten und Bekannten es ausgiebig begutachtet und kommentiert hatte, ließ auch das Interesse an den Kindern mit zunehmender Größe der selben nach.

Gleiches galt für die Zweisamkeit, da Monika nachdem sie den ganzen Tag Windeln gewechselt, Wickeltaschen geschleppt, mit zwei Kindern, die weniger hörten als taube Hunde, einkaufen und mit ihnen am Spielplatz war, wo sie zwischen den Niederungen der Tunnel, Büsche und Hecken, die die kleine Sophie krabbelnd erkundete und den zum Himmel orientierten Erkundungen von Klettergerüsten und Bäumen von Florian hin und her hechtete wie ein Torwart beim Aufwärmtraining, so erschöpft war, dass sie während der drei ruhigen Atemzüge auf der Couch, die sie sich gönnen wollte, nachdem die beiden endlich eingeschlafen waren, selbst in Hypnos Reich hinüberglitt, bevor sie es überhaupt ins Bett geschafft hätte.

Während Monika versuchte, die Kinder zum Schlafen zu bringen, versuchte Holger zwei Etagen tiefer seine Roboter aus selbigem zu erwecken, bis er so müde war, dass die Bauteile vor seinen Augen zu einem abstrakten Kunstwerk verschwammen und er beschloss, selbst zu Bett zu gehen. Auf dem Weg dorthin weckte er Monika, damit sie vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer wechseln und gerade genug Energie tanken konnte, um der doppelten Ladung ihrer Kinder zumindest so weit Herr werden konnte, dass diese es auch am nächsten Tag wieder einigermaßen unversehrt ins Bett schafften.

Da Monika nach Besorgungen, Kindern, Kochen und Haushalt so dankbar für ein wenig Ruhe war wie jemand, der bei einem Rockkonzert sein zu laut eingestelltes Hörgerät weder herausnehmen noch leiser stellen konnte, hatte sie kein großes Verlangen, dass Holger etwas an seiner Gewohnheit sich am Abend wie ein Grottenolm in unterirdische Gefilde zurückzuziehen, ändern sollte.

Plötzlich Zeit

Dies änderte sich auch nicht groß, als die Kinder in Kita bzw. Kindergarten gingen und sie Stück für Stück die Zeit, die sie mit Kinderbetreuung verbracht hatte, durch Arbeit als Anwaltsgehilfin tauschte, wo sie teilweise auch in die Knie gezwungen wurde, wo ihre Gegenüber zwar weniger kleckerten und keine Windeln trugen – zumindest musste ihnen Monika nicht beim Wechseln dieser behilflich sein -, deswegen aber nicht unbedingt weniger quengelig und uneinsichtig waren, wenn sie sich, was eigentlich bei einhundert Prozent der Klienten der Fall war, im Recht sahen.

Als die Kinder in das Alter kamen, in dem die Eltern schwierig werden, sie die Küsse der Eltern als ‚ekelig‘ bezeichnen, sie Umarmungen, wenn überhaupt nur zu Hause und auch dort nur unter Protest über sich ergehen lassen, trat, so leise und unbemerkt, wie ein Tiger, der durchs Unterholz schleicht und den du erst wahrnimmst, wenn er zum Sprung auf dich ansetzt, so dass das einzige, was du noch tun kannst ist, den Ansatz eines Angstschreis in die Welt zu hauchen, Zeit in Monikas Tage. Freie Zeit. Zeit, die die nicht für eine Aktivität (oftmals für mehrere gleichzeitig), reserviert und von der immer zu wenig da gewesen war, weswegen sich Monika häufiger die Frage stellte, wieso die Genies im Silikon Valley sich mit der Erfindung von Tech-Spielzeug aller Art beschäftigten, anstatt damit, wie man mehr Stunden in einen Tag pressen konnte, wenn doch alle immer in Eile und schließlich Zeit Geld war.

Nun hatte sie Zeit. Die Kinder beschäftigten sich entweder mit dem, was die Genies im Silikon Valley tatsächlich erfunden hatten, an Stelle von dem, was sie in Monikas Augen hätten erfinden sollen, oder waren bei Freunden, wo sie vermutlich das Gleiche taten. Holger eiferte den Westküstengenies zwar in Sachen Technikbegeisterung und Enthusiasmus das ‚Next Big Thing‘ zu erfinden nach, war dabei aber nicht so erfolgreich wie diese, zumindest nicht dahingehend, dass er etwas erfunden hätte, das Jugendliche in ähnlichem Maße gefesselt hätte, dass sie ihre Eltern angefleht hätten, es ihnen zu kaufen, wie ein Junkie, der seit Tagen keinen Stoff mehr hatte.

Alleine mit freier Zeit

Weniger Erfolg aber gleicher Zeitaufwand bedeutete, dass er im Gegensatz zu Monika nach wie vor keine freie Zeit hatte – zumindest sah er das nicht so, während er in Monikas Augen die Zeit im Keller natürlich auch hätte anderweitig verwenden können -, weswegen Monika ihre Zeit allein verbringen musste. Ein Umstand, der ihr nach den ersten beiden entspannten Abenden nicht mehr uneingeschränkt zusagte.

Die ersten Abende nur für sich in einer Ruhe, die einem Kloster bei einem Schweigeseminar in nichts nachstand, war nach Jahren, in denen immer jemand etwas von ihr wollte und gefühlt keine drei Minuten vergingen, in denen nicht eines der Kinder – oft auch beide gleichzeitig – ‚Mama‘ oder jemand – Holger, ihre Chefs, deren Klienten, die anderen Mütter bei der Kindergartenelternvertretung, ihre Eltern, der Postbote, Werbeanrufer – ihren Namen gerufen hätte, lösten bei ihr ein solches Glücksgefühl aus, wie es früher nur Live-Konzerte, Alkohol oder Sex (am besten alles am selben Abend) getan hatten. Allerdings nahm der Grenznutzen der ruhigen Abende in etwa so schnell ab wie der von Autos, weswegen sie bereits am dritten Abend gerne von jemandem Unterhalten worden wäre, der nicht an die Größe des Fernsehers gebunden war.

Als sie Holger von ihrem Bedürfnis nach etwas weniger Ruhe und ein bisschen mehr Geselligkeit erzählte, aktivierte sie bei ihm offenbar Erinnerungen an ihre Zeiten der Zweisamkeit, weswegen er zustimmte, noch am selben Abend seinen Robotern an Stelle seiner Frau eine Pause zu gönnen.

Ein kurzes Aufblühen

Wie eine Blume, die eigentlich schon totgeglaubt war, blühten ihre gemeinsamen Abende wieder auf, verloren aber schnell Blatt um Blatt, bis sie letztlich doch wieder verblüht waren. Holgers anfängliche Euphorie, die sich nicht nur in Zweisamkeit vor dem Fernseher oder bei einem Glas Wein auf der Terrasse, sondern wenn die Kinder bei Freunden waren, in Restaurant-, Kino-, Konzert- oder Theaterbesuche verwandelte, ließ ebenso nach wie die Begeisterung für Liquido, als ‚Narcotic‘ so oft gespielt worden war, dass sich die Reaktion der Hörenden an Stelle von Ekstase immer mehr dem Titel näherte.

Immer öfter sagte er, dass er keine Lust zum Ausgehen habe, wobei die Ausreden in Monikas Ohren vorgeschoben wirkten – nicht schon wieder dieses Restaurant, über dieses Theaterstück hatte er schlechte Kritiken gelesen, dieses Konzert sei ihm zu laut, im Kino läuft heutzutage sowieso nichts Gutes mehr. Immer öfter blieb er wieder länger im Bastelkeller. Immer öfter kam er erst hoch, als Monika bereits ins Bett gegangen war – allein und frustriert.

Nach einem kurzen Triumph, der Hoffnung in ihr aufkeimen ließ, war sie Monika vernichtend von den Robotern besiegt worden. Wer hätte gedacht, dass Roboter einen Kampf gewinnen würden, in dem es nicht um Waffenstärke ging, sondern um Zuneigung und Aufmerksamkeit?

Grottenolm mit Grottenstimmung

Dass Holger nach einer kurzen Entdeckungsreise in die von der Sonne beschienen Welt sich wieder in seine Höhle zurückzog, musste aber nicht bedeuten, dass Monika das Gleiche tun musste. Wenn Holger nichts mit ihr unternehmen wollte, würde sie eben mit Cornelia ausgehen. Das hatten sie in den letzten Jahren ohnehin viel zu selten gemacht – seit Monikas Kinder da waren nicht mehr abends und nicht zu zweit. Die Freude über den ersten ausgelassenen Abend in dem neuen spanischen Restaurant, bei dem vor allem der Geschmack des rubinroten Riojas überzeugte, der neben Alkohol scheinbar iberisches Temperament in den Kreislauf der Trinkenden fließen ließ, was zu angeregten Unterhaltungen und Tänzen auf offener Straße führte, bei denen die Musik nur von den Tanzenden gehört wurde, hielt nur bis zum nächsten Morgen.

Dabei war es weniger der alkoholbedingte Kater, der erstaunlich mild ausfiel (offenbar war es wirklich guter Rioja), als vielmehr der große Kater, der lieber zu Hause saß als draußen auf Mäusejagd zu gehen, der unmittelbar nachdem Monika verschlafen in die Küche gewackelt kam, damit begann zu lamentieren, wie schlimm es für ihn gewesen sei, dass sie nicht da war. Florian hatte noch Hilfe bei den Mathehausaufgaben benötigt, was ganze 33 Minuten von Holgers Bastelzeit in Anspruch genommen hatte und Sophie hatte seine Arbeit insgesamt drei Mal unterbrochen, weil sie das T-Shirt nicht fand, das sie am nächsten Tag anziehen wollte, weil die Insta-App auf ihrem Smartphone nicht funktionierte und weil sie noch kein Geschenk für den morgigen Geburtstag ihrer besten Freundin hatte und somit mehr als eine Stunde seiner Zeit gefordert.

Eigene Bedürfnisse egoistisch?

Obwohl es selten vorkam, dass Monika etwas unternahm, stellte dies für Holger jedes Mal ein so großes Problem dar, dass es wochenlang erwähnt und kommentiert werden musste. Epische Dramen wurden ausgemalt von den anstrengenden Abenden, an denen er für beide Kinder da sein musste, mit ihnen die Schulsachen für den nächsten Tag vorbereiten, teilweise sogar noch Hausaufgaben machen und in ganz schlimmen Fällen, wenn Monika sich mit Cornelia zum Abendessen verabredet hatte, das vorbereitete Abendessen aufwärmen musste. Noch dramatischer wurde es, wenn, wie beim ersten Ausgehen, die Übernahme aller Pflichten sich nicht nur auf den Abend des Strohwittwerdaseins erstreckte, sondern bis in den nächsten Morgen dauerte und somit Frühstück und Pausenbrot die Belastung in fast schon übermenschliche Sphären trieben, für die Clark Kent sich in Superman hätte verwandeln müssen.

Dieses Gezeter verleidete Monika die schönen Abende, die ihr so guttaten, die sie eigentlich mit Energie aufluden wie einen Akku an der Ladestation, sodass sie die nächsten Wochen wieder gut gelaunt, fürsorglich und liebevoll für die Familie da sein und sich neben ihrem Beruf noch um Einkauf, Haushalt, Organisation des Familienlebens und alles was sonst noch anfiel (außer Rasenmähen, das machte Holger) kümmern konnte.

Holger sah offenbar nicht, dass es für Monika nötig war, sich um sich selbst zu kümmern, damit sie dann wieder für alle anderen da sein konnte. Anstatt sie zu unterstützen, entzog er ihr mit seinem ewigen Lamentieren die Energie schneller als das Wasser aus einem Stausee fließt, wenn alle Schleusentore geöffnet werden.

Dieses Mal wartete Holger mit dem Drama nicht bis zum Morgen danach, um Monika ihre Freude nachträglich zu verleiden, sondern er begann bereits, als sie ihm sagte, dass sie sich mit Cornelia treffen würde. Die erste Reaktion war ein tiefes Seufzen und Verdrehen der Augen wie ein Lehrer, der die gesamte heutige Schülergeneration als faul, dumm und nutzlos ansah und nur noch auf das Ende des Schuljahres wartete, bis er endlich in die verdiente Pension gehen konnte.

Die Leiden des Zurückgelassenen

An den folgenden Tagen wandelte sich der Ausdruck von Holgers Unzufriedenheit stufenweise von passiver Leidensdemonstration zu offener Ablehnung. Von in den Raum geworfenen Fragen wie: „Wer hilft mir, wenn ich auf die Kinder aufpassen muss?“, als Reaktion auf Monikas bitte, ihr beim Abwasch zu helfen über mitleidsheischendes: „Ich wäre ja schon viel weiter mit meinen Robotern, wenn ich nicht ständig abgelenkt werden würde“, bis hin zu: „Du sagst doch immer, dass du so gerne Zeit mit den Kindern verbringst. Warum bleibst du dann nicht bei ihnen zu Hause?“, reichte das Programm.

Vollends verdarb er Monika die Freude auf ihren Abend mit Cornelia, als er zur Verabschiedung anstelle von: „Ich liebe dich!“, oder: „Viel Spaß!“, sagte: „Amüsiere du dich ruhig, während ich mich hier um alles kümmere!“

Er kümmerte sich um alles? Wenn alles Rasenmähen und einmal im Monat auf die Kinder aufpassen war, ja. In Monika brodelte es heftiger als in einem Kochtopf bevor die Spaghetti hineinkommen. Während man diese nach spätestens 10 Minuten aber abgießt und das Brodeln somit beendet, hätte Monika an diesem Abend für einen klebrigen Klumpen aus Nudelteig gesorgt, da sie immer weiterbrodelte.

Das Abgießen übernahm Cornelia nach gut zwei Stunden. Sie war gerade dabei Monika zu berichten, wie unzufrieden sie in der Arbeit ist, da sie diejenige ist, die sich im Hintergrund um alles kümmert, dafür aber keinerlei Anerkennung bekommt, als Monika sie mitten im Satz unterbrach, um zum sechsten Mal an diesem Abend wieder zum Gründungsmythos ihrer ehelichen Ungerechtigkeit zurückkehrte.

Cornelia hat genug und steht für sich ein

„Monika, ich bin deine beste Freundin“, fuhr ihr Cornelia über den Mund, „aber genug ist genug. Ich bin gerne bereit, mir jegliches Leid von dir anzuhören. Ich bin auch bereit, mit dir zu überlegen, was du unternehmen kannst, damit ihr beide zu einer Lösung kommt. Gerne auch, wie du Holger loswerden kannst, wenn er so schlimm ist. Aber ich bin nicht bereit, dein Mülleimer zu sein, in den du dich nur auskotzt. So einseitig kann eine Freundschaft nicht funktionieren. Bei allem Verständnis.“

Cornelia stand auf, nahm ihren Geldbeutel aus der Handtasche, warf einen 50 Euro Schein auf den Tisch, drehte sich um und ging. Monikas Mund stand offen wie eine Tropfsteinhöhle. Sie blickte Cornelia noch hinterher als diese bereits den halben Weg nach Hause zurückgelegt haben musste.

Wie ein Sprössling, der sich langsam durch die Erde ans Licht schiebt, kamen erste klare Gedanken in ihr Bewusstsein. Cornelia hatte Recht. Sie hatte ihr nicht ein Mal zugehört. Natürlich hatte auch sie sich den Abend anders vorgestellt. Aber nun war sie da, war bei Cornelia, hätte die Zeit mir ihr auch genießen können. Doch anstatt ihre Stimmung, die so heiter war wie ein verregneter Herbstmorgen, zu Hause zu lassen und die kleine Lücke in den Wolken zu genießen, brachte sie diese mit und sorgte für Dauerregen.

Natürlich konnte man bei einer Freundin die Spannung entladen. Wie bei einem Sommergewitter musste danach aber die Sonne wieder strahlen.

Die Einsicht

Sie hatte sich unmöglich verhalten. Es stimmte, sie hatte Cornelia wie einen Mülleimer behandelt. Nicht nur ein bisschen, sondern den gesamten Abend. Alles wegen dieser blöden Auseinandersetzung mit Holger. Nur weil er lieber ein Grottenolm als eine Fledermaus war.

Sie spürte, wie Puls und Atmung sich beschleunigten. Warum musste er ihr das bisschen Freiheit auch noch vermiesen?

Aber, was hatte Cornelia gesagt? Holger verlassen? Nein! Sie wollte ihn nicht verlassen. Natürlich nicht. Sie liebte ihn! Sie liebte ihre Familie! Nicht eine Sekunde hatte sie daran gedacht, ihn zu verlassen.

Gut, er hätte aufmerksamer sein können. Es stimmte, er hätte sie mehr unterstützen können, ihr öfter den Rücken freihalten, mal von sich aus etwas nur für sie tun. Nicht nur zum Geburtstag, einfach so. Aus Liebe. Aber dazu war er nicht der Typ. War er nie gewesen. Vor der Hochzeit schon nicht, wieso sollte er es dann jetzt sein? Sie hatte ihn so geheiratet, so kannte sie ihn, so liebte sie ihn. Verlassen? Nein!

Allerdings ließ er sie oft allein, während sie nur einmal im Monat etwas allein unternahm – und das wie an diesem Abend mit so viel Widerstand, dass sie nicht eine Sekunde hatte genießen können. Dass sie sogar Cornelia den Abend versaut hatte. So sehr, dass diese wutentbrannt abgegangen war, viel zu viel Geld auf den Tisch geworfen und ihr angeboten hatte, sie zu unterstützen, wenn sie Holger verlassen würde.

Aber das kam nicht in Frage. Oder? Sie spürte, dass sie ein wenig ins Wanken geriet. Ganz leicht, wie eine Tanne bei seichtem Wind. Es war kein starkes Schwanken, nichts Bedrohliches. Aber spürbar. Sie konnte das Wanken wahrnehmen. War sie zunächst so fest in ihrer Meinung, dass sie Holger jemals verlassen könnte, wie die Wurzeln der Tanne im Waldboden, hatte sie sich, während sie darüber nachdachte dem Wipfel der Tanne genähert, der sich im Gegensatz zu den Wurzeln von einer Seite zur anderen bewegte.

Ihren Mann verlassen?

Ihn verlassen. Monika ließ die Worte in ihrem Geist nachklingen. Ihn verlassen. Ihn verlassen? Wo sollte sie hin? Das kleine Haus ihrer Eltern war nicht groß genug für sie und die Kinder. Zu Cornelia? Viel zu kleine Wohnung. Außerdem war die sauer. Richtig sauer.

Oder würde Holger ausziehen? Wo sollte der hin? Seine Eltern waren zu weit weg. Freunde hatte er keine. Ins Hotel? Dafür war er zu knauserig. Wahrscheinlich würde er im Auto schlafen. Er würde sich irgendwelche Sandwiches an der Tankstelle kaufen. Er konnte ja nicht mal kochen. Er konnte nicht putzen. Wie sollte er einen Haushalt führen?

„Nein“, rief Monika so laut, dass sich die Gäste an den Nebentischen zu ihr umdrehten. Sie lächelte verlegen und hob entschuldigend die Hand. Sie wollte das nicht laut sagen, aber sie war überzeugt von dem, was sie gesagt hatte. Sie würde Holger nicht verlassen. Sie liebte ihn. Sie liebte ihn wirklich. Und er liebte sie. Das wusste sie.

Aber es musste sich etwas ändern. Sie wollte sich nicht wie eine Bittstellerin fühlen, wenn sie sich einmal erlaubte, etwas zu unternehmen. Vor allem nicht, wenn er nichts mit ihr unternehmen wollte. Wenn er es liebte, zu Hause zu sitzen, bitte. Deswegen musste sie das nicht tun.

Für die eigenen Bedürfnisse einstehen

„Wenn du möchtest, dass jemand etwas ändert, musst du es ihm sagen“, hatte Karsten, Monikas Meditationslehrer gesagt. Nicht subtil, keine bloßen Andeutungen nach dem Motto: Ich habe meine Stirn in Falten gelegt, da hätte er doch merken müssen, dass ich gerne öfter ausgehen möchte. So etwas würde nie zum gewünschten Erfolg führen.

Formuliere deine Bedürfnisse klar

Bei solcherlei Andeutungen zu erwarten, dass das Gegenüber verstehen würde, was man wollte und sein Verhalten entsprechend anpassen würde, war, wie zu verlangen, dass Meteorologen ihre Vorhersagen allein am Flug der Schmetterlinge ableiteten.

Wenn sie wollte, dass Holger etwas änderte, musste sie direkt sein. Klar und direkt. Nicht viele Worte, keine Ausschweifungen, Erklärungen oder Relativierungen. Eine klare Aussage, positiv formuliert, kurz und prägnant. Kommunizieren wie Schwarzenegger als Terminator. „I’ll be back“ – jeder wusste, was Sache war. So würde sie es machen.

Auf dem Nachhauseweg rief sie Cornelia an. Erst beim achten Klingeln hob sie ab und brummte ein „Mmmhh“ ins Telefon. Nachdem sie Monika ein wenig hatte schmoren lassen und ihre Entschuldigung erst nach der vierten Wiederholung annahm, sagte sie: „Ich hatte dir schon verziehen, als ich drei Minuten im Auto war. Ich kann dich ja verstehen. Und ich bin froh, dass du Holger nicht verlassen möchtest. Aber: Er muss sich ändern. Gib nicht klein bei, Süße, hörst du?“

„Das werde ich nicht, keinesfalls!“, hatte Monika geantwortet.

Monika fordert ein Gespräch

Um ihren Standpunkt deutlich zu machen, hatte sich Monika mit Cornelia gleich in der darauffolgenden Woche wieder verabredet. Und diesen Abend würde sie sich nicht vermiesen lassen.

Als sie nach Hause kam, schliefen die Kinder bereits. Wie in einem Stollen brannte nur dort Licht, wo gearbeitet wurde und dort würde sie ihren Grottenolm finden.

Monika öffnete die Tür. Holger sagte tonlos: „Hi“, wobei der den Blick so starr auf den Roboter vor sich geheftet hielt, wie ein Zwölfjähriger auf eine entblößte Frauenbrust.

Monika spürte, wie kleine Wölkchen in ihr anwuchsen, wie sie sich verfinsterten, aneinanderstießen, sich elektrisch aufluden. Mit einem tiefen Atemzug sorgte sie für klaren Himmel und sagte so deutlich wie ein Verkehrspolizist Führerschein und Fahrzeugpapiere fordert:

„Ich muss mit dir reden. Jetzt!“

Holger drehte sich zu ihr um, schob mit der linken Hand seine Brille zurecht und sagte:

„Okay, was ist?“

„Nicht hier. Oben.“

„Okay, ich komme gleich.“

„Nein, jetzt!“

Holgers Gesichtsausdruck glich dem, wenn man beim Fahren bemerkt, dass ein überholendes Auto auf der eigenen Spur entgegenkommt. Er nickte stumm, schaltete die Basteltischlampe aus und folgte Monika nach oben.

Schwankt Monika?

Monika nahm am Esstisch Platz, zeigte stumm mit der Hand auf Holgers Stuhl. Er setzte sich, sah sie unsicher an wie ein Schulkind den Lehrer vor dem Ausfragen.

Monika holte tief Luft. Sie spürte ihr Herz schlagen, sie konnte fühlen, wie sich ihr Puls beschleunigte.

„Holger, so können wir nicht weitermachen“, sagte sie schroffer als beabsichtigt. Sie wollte doch klar, aber liebevoll sprechen. Nicht angreifen, keine Aggression. Sie umgriff ihre linke Hand mit der rechten.

„Was meinst du?“, fragte Holger.

„Ich meine“, begann sie, stockte dann aber. Sie hatte noch nie klar ausgesprochen, was sie wirklich wollte. Sie wollte Holger doch nicht verletzen. Auch in der Schule war sie darauf bedacht gewesen, zu gefallen, nicht aufzufallen, auf die Lehrer zu hören. Auch später in der Berufsschule, in der Kanzlei sowieso. So war sie erzogen worden. Man musste sich anpassen, Regeln und Gesetze befolgen, auf Eltern, Lehrer und Vorgesetzte hören. Wo käme man sonst hin? Was würden die Leute sagen? Das hatten ihr ihre Eltern beigebracht. Vor allem als Mädchen musste man das. Für Mädchen schickte es sich nicht, Widerspruch zu leisten, Wünsche zu haben, Forderungen zu stellen. So hatte sie ihr Leben gelebt. Bis jetzt. Bis zum heutigen Abend. Bis zu dem Abend, an dem ihre beste Freundin sie allein hatte sitzen lassen in der Bar, weil sie sich den aufgestauten Frust, den Monika wie eine Flutwelle über sie ergossen hatte, nicht mehr antun wollte.

Monika bleibt standhaft bei ihren Bedürfnissen

Dies war der Punkt, an dem Monika wusste, dass sie etwas ändern musste, um nicht selbst unterzugehen, um nicht selbst mitgerissen zu werden vom Sturzbach der Zurückhaltung und der Anpassung. Sie war kein Mädchen mehr. Sie war eine Frau. Sie lebte nicht im 18. Jahrhundert. Sie hatte ein Recht, ihre Gefühle auszudrücken. Sie hatte ein Recht, Wünsche zu haben. Sie hatte ein Recht, Forderungen zu stellen.

„Ich möchte nicht jeden Abend zu Hause sitzen. Vor allem nicht allein, wenn du in deinem Bastelkeller verschwindest.“

„Okay“, sagte Holger, aber er schien nicht recht zu verstehen, was sie meinte.

In Monikas Kopf tauchte Karstens stimme wieder auf. Sie sollte positiv formulieren, was sie wollte. Nicht sagen, was sie nicht wollte, sondern klar sagen, was sie wollte.

„Ich möchte ausgehen. Ich möchte am Abend etwas unternehmen. Wenn nicht mit dir, dann mit Cornelia. Oder jemand anderem. Oder allein.“

„Aber, du warst doch heute…“ Holger konnte den Satz nicht zu Ende sprechen.

„Ja genau, ich war heute“, schnauzte Monika Holger an. „Entschuldige, ich wollte nicht so schroff sein. Das ist der Grund, warum ich mit dir reden möchte. Ich war heute mit Cornelia aus. Aber anstatt, dass wir uns nett unterhalten hätten, habe ich ihr nur vorgejammert, wie du mir den Abend vermiest hast, seit ich dir gesagt habe, dass ich etwas mit ihr unternehmen möchte.“

„Das war doch nicht so gemeint.“

„Lass mich bitte aussprechen“, sagte Monika. Holger nickte. „Egal, wie du es gemeint hast, aber du hast immer wieder gesagt, wie schlimm es ist, wenn ich dich mit den Kindern allein lasse. Ich hatte mich so gefreut, aber jeder dieser Sätze hat meine Freude Stück für Stück in Ärger verwandelt.“

Der Olm kriecht aus der Grotte

„Aber es ist doch okay, wenn du ausgehen möchtest.“

„Dann zeig mir das bitte auch. Unterstütze mich. Wünsch mir einen schönen Abend und gib mir das Gefühl, dass zu Hause alles gut ist und ich ruhigen Gewissens den Abend genießen kann.“

„Das ist es doch auch. Die Kinder sind doch schon groß. Die brauche mich doch kaum. Bitte entschuldige, dass ich dir den Abend vermiest habe. Das wollte ich nicht. In Zukunft werde ich dich unterstützen, wenn du etwas unternehmen möchtest!“

Monika sah Holger an, konnte ihn durch den Tränenschleier in ihren Augen aber nur unklar erkennen.

„Wirklich?“, fragte Monika lächelnd, während sie sich die Tränen aus den Augen wischte.

„Natürlich“, sagte Holger. „Ich liebe dich!“

„Ich liebe dich auch!“ Holger beugte sich vor und küsste seine Frau. Sie umarmten sich innig, wie sie es seit Monaten nicht mehr getan hatten.

Als sie Holger von der erneuten Verabredung mit Cornelia erzählte, antwortete dieser nur:

„Klar, kein Problem. Ich pass auf die Kinder auf.“

Als sie sich auf den Weg machte, begleitete er sie zur Tür, umarmte sie, küsste sie.

„Ich wünsche dir viel Spaß! Richte Cornelia schöne Grüße aus. Und mach dir keine Gedanken über zu Hause. Wir haben das alles im Griff.“

Monika lächelte ihn an, küsste ihn erneut und sagte: „Danke!“

Als sie die drei Stufen vor der Haustür nach unten gestiegen war, rief Holger:

„Das nächste Mal gehe ich mit dir Essen!“

Sein Lächeln erinnerte Monika an damals, als sie sich ineinander verliebt hatte. Sie lächelte zurück, winkte noch einmal und ging.

„Schön, dass wir mal wieder etwas zu zweit machen“, sagte Cornelia, als sie sich trafen.

„Hatten wir doch erst“, sagte Monika und zog fragend die Augenbrauen zusammen.

„Nein, da war nur so ein gruseliger Troll da, der alles mies machte.“

Monika schlug ihrer Freundin lachend auf die Schulter.

„Lass uns einen schönen Abend haben!“


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Rückenschmerzen? 6 + 1 Übungen

Ein stechender Schmerz fuhr vom unteren Rücken durch ihren gesamten Körper. Blitzartig erfasste er ihren Nacken, Arme und Beine. Es fühlte sich an wie ein Schlag, der alles in ihrem Körper zum Vibrieren brachte. Als hätte sie in Medusas Gesicht geblickt, erstarrte sie innerhalb einer Sekunde. Dabei war dies alles andere als eine Vorteilhafte Stellung.

Sie war gerade dabei gewesen, eine Büroklammer vom Boden unter ihrem Schreibtisch aufzuheben. Um Sie zu erreichen, war sie auf alle Viere gegangen und hatte sich nach vorne gestreckt. Nun war sie mit dem Kopf fast am Boden und ihr Gesäß so nach oben gereckt, dass es in seiner vollen Größe und Rundheit zur Geltung kam. Und wie Monika immer wieder bedauernd vor dem Spiegel feststellte, war es kein kleiner Po. Im Gegenteil.

Schon lange hatte sie sich vorgenommen abzunehmen. Unzählige Diäten hatte sie begonnen. Abgesehen von kleinen Erfolgen vergebens. Die kleinen Erfolge waren immer schnell wieder kompensiert. Meistens überkompensiert, sodass sie schnell mehr wog als vor der Diät.

Und dieser nicht kleine Po war nun neben Monikas Füßen, das Einzige, was von ihr unter dem Schreibtisch zu sehen war. Dabei war er präsent wie der Vollmond in einer kristallklaren Nacht. Und ebenso rund.

Rückenschmerzen lassen nach, Bewegungslosigkeit nicht

Der Schmerz zog sich langsam zurück, konzentrierte sich an einer Stelle im unteren Rücken. Dort blieb er, pochte, pulsierte. Mit jedem Herzschlag sendete der Schmerz kleine Wellen aus, ohne dazwischen ganz zu verschwinden.

schmerzen rücken

Mit jeder Welle trieb der Schmerz Monika den Schweiß auf die Stirn. Sie fühlte sich an die Geburten ihrer Kinder erinnert. Dabei hatte sie wenigstens immer wieder Pausen zwischen den Wehen gehabt, um sich zu erholen und Glücksgefühle, die sie irgendwie high gemacht hatten.

Mit jeder Welle trieb der Schmerz Monika den Schweiß auf die Stirn. Sie fühlte sich an die Geburten ihrer Kinder erinnert. Dabei hatte sie wenigstens immer wieder Pausen zwischen den Wehen gehabt, um sich zu erholen und Glücksgefühle, die sie irgendwie high gemacht hatten. So ganz genau konnte sie sich daran eigentlich gar nicht erinnern. Irgendwie hatte sie gepresst und gepresst, war den Anweisungen der Hebamme gefolgt und wollte nur das Kind aus sich rauspressen. Und dann war es da und sie war erleichtert.

Der Schmerz, der nun in ihrem Rücken war, war dauerhafter und vollkommen frei von jeglichem Glücksgefühl.

Vielmehr war ihr nun bewusst geworden, in welcher Position sie sich befand und dass sie, wenn sie sich nicht selbst würde befreien können, so von einem ihrer Chefs gefunden werden würde. Der kaum auszuhaltende Schmerz würde dann auch noch von großer Scham gekrönt. Bereits jetzt wünschte sie sich, einfach zu verschwinden.

Doch weder sie noch ihr Schmerz verschwanden. Auch ihre Bewegungslosigkeit nicht. So verharrte sie weiter unter dem Schreibtisch, den Po nach oben gereckt und versuchte, den Schmerz wegzuatmen, was zumindest zu ein wenig Erleichterung führte.

Der Retter naht

Plötzlich hörte sie hinter sich das Räuspern ihres Chefs. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Monika?“; fragte Herr Bissing.

Sie spürte, wie ihr die Scham ins Gesicht stieg. Wie peinlich, so vom eigenen Chef gesehen zu werden. Die Scham verdrängte für einen kurzen Augenblick sogar den Schmerz in ihrem Rücken.

Besser als gar keine Hilfe, dachte Monika dann, schob die Scham beiseite und sagte: „Können Sie mir helfen aufzustehen?“

„Nun, ähm…, können sie das nicht selbst?“; fragte Herr Bissing.

Wie kann ein so intelligenter Mann, der ein Jurastudium mit Auszeichnung abgeschlossen hat, so begriffsstutzig sein?

„Nein, leider nicht“, sagte Monika mit all der Ruhe und Gelassenheit, die sie in diesem Moment aufbringen konnte. „Plötzlich war da ein stechender Schmerz in meinem Rücken und nun kann ich mich nicht mehr bewegen.“

„Was machen Sie eigentlich da unten?“

Wirklich? Statt ihr zu helfen, stellte er so belanglose Fragen.

„Ich wollte eine Büroklammer aufheben. Aber das ist doch auch egal. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir helfen könnten.“

„Nun, äh, wie?“

„Helfen Sie mir aufzustehen!“

Herr Bissing trat hinter Monika, schob den Schreibtischstuhl zur Seite und ging leicht in die Hocke. Dabei streckte er sein Gesäß nach hinten und hielt den Oberkörper immer noch gerade wie ein Fahnenmast. Er zupfte an seinen Ärmeln als wolle er diese hochkrempeln, dabei waren seine Manschetten so eng, dass sie die Bewegungsfreiheit mit einem Tiger im Käfig teilten. Er beugte und streckte mehrfach seine Finger als müsste er Aufwärmübungen machen. Dann legte er seine Hände so vorsichtig an Monikas Hüften, dass sie mehr erahnte, dass er sie nun anfasste, als dass sie dies gespürt hätte. Ebenso bedacht zog er an ihr.

Die Befreiung

Monika schüttelte den Kopf. Hätte sie gekonnt, hätte sie sich mit der Hand auf die Stirn geklatscht. „Ich glaube, sie müssen schon ein wenig fester ziehen“, sagte sie.

Herr Bissing griff etwas fester zu, zog aber noch so vorsichtig, als würde er ein Buddelschiff aufrichten.

Seine Frau tut mir leid, wenn er bei ihr auch nicht fester zupackt, dachte Monka.

„Ich habe ohnehin schon schmerzen und bin keine Mingvase. Sie dürfen schon zupacken!“, sagte sie.

Endlich überwand er sich, hielt sie fest und zog sie nach hinten. Durch die Bewegung wurden die Schmerzen wieder stärker. Monika presste ihre Zähne aufeinander, ballte die Hände zu Fäusten.

Nachdem Herr Bissing Monika gut 15 cm nach hinten gezogen hatte, versuchte er, sie gerade hochzuziehen. Die Richtungsänderung versetzte Monika erneut einen Stich.

Sie stöhnte, holte einmal tief Luft und sagte dann: „Nein, nicht. Bitte, drücken sie mich zu Seite.“

„Ja, meinen Sie?“

„Ja, bitte.“

Herr Bissing hörte auf zu heben und drückte stattdessen nach links. Monika spürte, wie sich ihr rechtes Knie vom Boden hob und sie langsam zu kippen begann. Herr Bissing drückte weiter, bis sie den Scheitelpunkt überwunden hatten und Monika schlagartig auf die linke Hüfte viel.

Richtig, von Halten hatte sie ja nichts gesagt.

Nachdem sie auf der Hüfte zum Liegen gekommen war, atmete Monika tief durch. Zumindest war nun ihr Po nicht mehr so dominant nach oben gereckt.

„Können Sie mich auf den Rücken drehen?“, fragte sie.

Scheinbar hatte der Sturz die Blockade ein wenig gelöst, sodass Monika zumindest ihre Schultern und Arme wieder etwas bewegen konnte.

Wieder legte Herr Bissing die Hände an Monikas Hüften.

„Ich glaube es geht besser, wenn Sie meine Knie drehen.“

„Meinen Sie? Gut, okay, mache ich.“

Herr Bissing machte einen kleinen Schritt zurück, bückte sich wieder, fasste Monika an den Knien und drehte sie langsam zu Seite.

Plötzlich fragte sich Monika, ob er ihr nun unter den Rock kucken könne. Oh Gott. Welche Unterhose hatte sie eigentlich an. Wie peinlich.

Wegen Rückenschmerzen ins Krankenhaus

Langsam folgte Monikas Körper ihren Schultern und drehte sich auf den Rücken. Die Schmerzen hatten sich wieder auf das pulsierende Niveau zurückgezogen.

Monikas Bedenken wegen ihrer Unterhose waren umsonst gewesen. Als sie nach oben blicken konnte sah sie, dass Herr Bissing den Kopf zur Seite gestreckt hielt. Ganz Gentlemen.

Als Monika endlich mit aufgestellten Beinden auf dem Rücken zu Liegen kam spürte sie doppelte Erleichterung. Die Schmerzen ließen nach und sie war nicht mehr in der endlos peinlichen Position gefangen.

Natürlich war es peinlich genug, in einer angesehenen Anwaltspraxis hinter dem Empfangstresen auf dem Boden zu liegen, aber immerhin besser als den Po, den man auch so möglichst verstecken wollte, prominent unter dem Schreibtisch hervorzurecken.

„Kann ich noch etwas für Sie tun, soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?“, fragte Herr Bissing, der schnell wieder seine gewohnt akkurate Haltung eingenommen und sich das Hemd glattgezogen hatte.

„Nein, danke. Aber ich wäre sehr dankbar, wenn sie einen Krankenwagen rufen könnten.“

„Äh, meinen Sie, das ist notwendig, bei Rückenschmerzen?“

Monika spürte Mordlust in sich aufsteigen. Sie schloss kurz die Augen und sagte dann so ruhig sie konnte: „Ja, meine ich. Ich kann mich nicht bewegen!“

„Ja, natürlich.“

Anstatt Monikas Telefon zu benutzen, das direkt vor ihm auf dem Schreibtisch stand, ging Herr Bissing in sein Büro, um zu telefonieren. Wenige Minuten später traf der Rettungsdienst ein. Der Notarzt spritzte Monika ein Schmerzmittel und ein Muskelrelaxans, bevor die Sanitäter sie ins Krankenhaus brachten.

Erleichterung und Empfehlungen gegen Rückenschmerzen

Im Krankenhaus konnte Monika sich immer noch nicht richtig bewegen. Dies lag nicht mehr an den Rückenschmerzen, sondern an der Wirkung des Muskelrelaxans. Monika hatte das Gefühl, dass dieses nicht nur ihre Muskeln, sondern auch ihren Geist entspannt hatte. Sie fühlte sich vollkommen locker und ruhig, ließ die Untersuchungen fast teilnahmslos über sich ergehen und fand es spannend zu beobachten, was um sie herum geschah, ohne sich wirklich beteiligt zu fühlen.

Nach knapp drei Stunden waren alle Untersuchungen abgeschlossen und die Ärztin holte sich nochmals zum Gespräch ins Untersuchungszimmer. Inzwischen war auch Holger eingetroffen und begleitete seine Frau.

„Ich kann Sie beruhigen“, begann die Ärztin das Gespräch. Ob das das richtige Wort war angesichts der relaxierenden Wirkung der Medikamente? Egal.

„Sie haben keinen Bandscheibenvorfall und es ist kein Eingriff nötig“, fuhr die Ärztin fort. „Sie hatten sich einen Nerv eingeklemmt. Dies hat die starken Schmerzen verursacht, die dazu führten, dass sie sich überhaupt nicht mehr bewegen konnten.“

„Und da muss man nichts machen?“, fragte Holger, während Monika nickend, wie ein Wackeldackel auf der Kofferraumablage eines Opel Kadetts auf und ab wackelte.

Rückenschmerzen

„Und da muss man nichts machen?“, fragte Holger, während Monika nickend, wie ein Wackeldackel auf der Kofferraumablage eines Opel Kadetts auf und ab wackelte.

„Nein. Das Relaxans hat die Muskeln so weit gelockert, dass der Nerv sich wieder befreien konnte. Vereinfacht ausgedrückt“, antwortete die Ärztin. Wieder an Monika gewandt fuhr sie fort: „Das Problem ist, dass ihre Rückenmuskulatur sehr schwach ist. Wenn Sie diese nicht trainieren, kann Ihnen das immer wieder passieren. Oder Sie bekommen eines Tages tatsächlich einen Bandscheibenvorfall, der dann womöglich invasivere Maßnahmen erfordert. Ich würde Ihnen empfehlen, zu Ihrem Hausarzt zu gehen und sich Physiotherapie verschreiben zu lassen. So schreibe ich das auch in den Brief, den ich Ihnen gleich mitgebe.“

Nachdem Monika und Holger nochmals kurze Zeit im Wartebereich Platz genommen hatten, brachte Ihnen eine Pflegekraft den Arztbrief, verabschiedete sie und wünschte ihr alles Gute.

Physiotherapie für einen starken und gesunden Rücken.

Am nächsten Tag fühlte sich Monika wieder gut. Fit wäre übertrieben gewesen. Sie fühlte sich wie immer, so geschmeidig und agil, wie sich eine Frau Mitte vierzig (dass sie eigentlich schon eher Ende vierzig war, verschleierte sie gerne), die deutlich zu viel Gewicht hatte, am Schreibtisch arbeitete, zuhause putzte, Wäsche wusch, kochte, spülte und so weiter, ansonsten aber körperliche Aktivität soweit es ging, vermied, eben fühlt.

Dennoch suchte sie wie im Krankenhaus empfohlen ihren Hausarzt auf, der ihr die Krankengymnastik verordnete. Wenige Tage später bekam sie einen Termin.

Zum Termin betrat sie die Praxis. Alle Möbel strahlten in hellem weiß, der Boden war aus hellem Parkett. Die wenigen Dekogegenstände – eine Glasskulptur, zwei Bilder, zwei Zimmerpflanzen – betonten die schlichte Eleganz.

Als Monika gerade der Mitarbeiterin am Empfangstresen mitteilen wollte, dass sie einen Termin habe, kam ihr ein Mann in körperbetonender Sportkleidung und einem Frotteehandtuch um den Hals entgegen. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Seine Zähne waren mindestens so strahlend weiß wie die Möbel der Praxis. Sein graues, nach hinten gekämmtes Haar und die leichten Fältchen um seine Augen ließen erkennen, dass er mindestens Mitte 50 sein musste. Dafür war er top in Form.

Das muss der Physiotherapeut sein, dachte Monika und wollte ihn gerade ansprechen, als aus einem anderen Raum ein jüngerer Mann, Ende 30, mit weißer Stoffhose und blauem Polohemd kam.

„Wie waren die Übungen heute?“, fragte er den Älteren.

„Hervorragend. Es tut einfach gut, sich so richtig auszupowern. Ich bin so froh, dass ich mir die neue Hüfte habe machen lassen.“

„Das glaube ich“, sagte der Jüngere. „Bis zum nächsten Mal.“

„Ja, bis dann. Ciao Özcan“, rief der Ältere. Und an die Mitarbeiterin am Tresen gewandt: „Einen schönen Tag, Madame.“ Dabei deutete er eine Verbeugung an, setzte wieder sein Werbebiberlächeln auf und verließ die Praxis.

Monika war ein weiteres Mal unfähig sich zu bewegen. Nicht, weil sie wieder Schmerzen im Rücken hatte, sondern weil Panik in ihr aufstieg. Musste sie sich auch so „auspowern“ könnte sie gleich schon den Krankenwagen rufen.

Ihre Gedanken wurden durch die professionell-freundliche Stimme der Empfangsmitarbeiterin unterbrochen. „Herzlich willkommen, wie kann ich Ihnen helfen?“

Erste Untersuchung des Rückens

Monika zuckte erschrocken zusammen, sortierte sich und sagte: „Hallo, ich habe einen Termin.“

Nachdem sie die Formalitäten geklärt hatten, zeigte die Empfangsmitarbeiterin Monika den Raum, in dem sie kurz auf den Therapeuten warten sollte. Bis dahin könne sie bereits ihre Schuhe ausziehen und ihre Sportkleidung anlegen.

Schuhe ausziehen war kein Problem, Sportkleidung hatte sie keine. Wozu brauchte sie Sportkleidung? Sie dachte, sie würde Massagen bekommen und sich ein bisschen strecken. Wieder bekam sie Angst vor dem „Auspowern“.

Als sie sich gerade ausmalte, wie sie sich auf einem Ergometer abstrampelte oder auf einem Laufband dahinhechelte, öffnete der jüngere Mann die Tür, kam mit federnden Schritten auf sie zu und reichte ihr die Hand. „Hallo, ich bin Özcan. Du musst Monika sein.“ Monika nickte nur.

„Okay, du bist hier, weil du Probleme mit deinem Rücken hast, richtig?“

Monika nickte wieder.

Er bat sie, sich auf dem Bauch auf die Liege zu legen, sodass er ihren Rücken abtasten konnte. Das Erfühlen der Muskelstränge verursachte wieder stechende Schmerzen in Monikas Rücken. Özcan machte nur „Mmhh, mmhh.“ Was hatte das zu bedeuten? War das gut oder schlecht?

Nach einer Weile sagte er: „Gut, setz dich auf.“ Monika tat wie ihr geheißen und wartete skeptisch.

„Deine Rückenmuskulatur ist zu schwach. Dadurch verkrampft sie sich immer wieder, was zu Verhärtungen führt. Außerdem kann sie dich nicht ausreichend stabilisieren, was die Bandscheiben zwischen deinen Wirbeln übermäßig belastet. Arbeitest du viel im Sitzen?“

„Ja, schon.“

„Sitzen ist die schlechteste Haltung für unsere Wirbelsäule, da sie dabei stark gekrümmt ist. All dies zusammen führt zu den Schmerzen. Wenn du nichts tust, wirst du ernsthafte Probleme bekommen.“

Die Erleichterung

Übungen Rückenschmerzen

„Okay, das heißt, ich muss mich nun auspowern“, fragte Monika und zeigte auf Laufband und Spinningrad, die in der Ecke standen.

„Auspowern? Nein, wieso?“

„Naja, der Mann vor mir…“

Özcan lachte. „Nein, der muss die Muskulatur in seinem Knie stärken. Dafür ist das Spinning gut. Und er war früher schon sehr aktiver Sportler. Deswegen liebt er es, dabei richtig reinzuhauen. Du musst das nicht machen.“

Monika atmete erleichtert durch.

„Ich werde dich nun ein wenig massieren, um die Verhärtungen zu lösen. Dann zeige ich dir einige Übungen, die du auch gut zuhause machen kannst. Und keine Angst, du musst dich nicht auspowern“, sagte Özcan und lachte wieder. „Die Übungen kann jeder machen.“

Nach der Massage fühlte sich Monikas rücken warm und leicht schmerzend an. Allerdings war es eher ein angenehmer Schmerz. Gab es so etwas? Monika hatte in jedem Fall das Gefühl, als hätte sich schon etwas gelöst.

„Okay“, sagte Özcan. „Die ersten beiden Übungen dienen dazu die Lockerung und Mobilisation deiner Rückenmuskulatur zu unterstützen. Doch bevor wir anfangen, solltest du dich kurz aufwärmen. Am besten walkst du dabei auf der Stelle. Achte darauf, die Arme richtig mitzunehmen[1].“

Özcan stellte sich gegenüber von Monika auf, machte ihr die Übung vor, damit sie genau wusste, wie sie sich zu bewegen hatte. Sie gingen auf der Stelle, hoben dabei die Füße höher als beim normalen Gehen und setzten die Arme stark ein, wie es beim Walken gemacht wird.“

Monika spürte, dass Herzschlag und Atmung sich beschleunigten. Nach kurzer Zeit kam sie außer Atem, aber sie hielt durch, bis Özcan sagte: „Gut, das reicht zum Aufwärmen.“

Mobilisation der Rückenmuskulatur

Monika hörte auf zu walken, stützte die Hände in die Hüften und atmete tief ein und aus.

„Anstrengend?“, fragte Özcan.

„Ein wenig“, antwortete Monika.

Özcan grinste. „Keine Angst, schlimmer wird es nicht. Aber es wäre sicherlich gut, wenn du dich im Alltag mehr bewegen würdest, um deine Kondition zu verbessern. Vielleicht kann ich dir da bei einer der nächsten Sitzungen noch ein paar Tipps geben. Heute geht es aber um die Übungen gegen deine Rückenschmerzen.“

Monika nickte, presste die Lippen aufeinander und zog tief Luft durch ihre Nase ein. Ja, er hat ja Recht, dass sie nicht gut in Form ist, aber muss er ihr das gleich unter die Nase reiben?

Özcan bemerkte Monikas Unmut nicht oder, was wahrscheinlicher war, er ignorierte ihn, weil er ihn von den allermeisten seiner Patienten kannte.

„Für die erste Übung gehst du bitte auf Hände und Knie. Achte darauf, dass die Knie und Hände hüftbreit auseinander und die Arme leicht angewinkelt sind, sodass der Rücken gerade ist. Dann wechselst du zwischen Katzenbuckel, das heißt, du machst einen Rundrücken und Pferderücken, das heißt du machst ein Hohlkreuz. Halte die Position jeweils drei Sekunden, wiederhole jede zwanzig Mal.[2]

Monika befolgte Özcans Anweisungen, wurde zwanzigmal zum Pferd und zwanzigmal zur Katze.

„Sehr gut, gute Ausführung“, lobte Özcan. „Nun legst du dich bitte auf den Rücken.“

„Gut, das kann ich“, sagte Monika.

„Viel komplizierter wird es auch nicht. Beine anwinkeln, die Arme gerade zur Seite strecken. Lass deine Knie abwechselnd soweit es geht nach links und rechts zur Seite sinken. Achte aber darauf, dass deine Schultern am Boden bleiben. Jede Seite zwanzigmal.[3]

Monika schwang ihre Knie von einer Seite zur anderen wie eine Slalomfahrerin in Superzeitlupe. Die Schultern fest am Boden zu lassen war gar nicht so einfach.

Übungen bei Schmerzen im unteren Rücken

„Sehr gut, deine Rückenmuskulatur ist nun gelockert und mobilisiert. Lass uns nun Übungen für den unteren Rückenbereich machen. Bitte steh dazu auf.“

Monika stand über die Seite auf und stellte sich gerade hin.

„Okay“, sagte Özcan, „zuerst Aufdehnen der Vorderseite. Füße hüftbreit, Knie leicht angewinkelt und dann, Arme gestreckt nach oben und so weit es geht nach hinten strecken. So, dass du gerade nicht umfällst.“

Monika streckte die Arme nach hinten, richtete den Blick zur Decke.

„Das Kinn bleibt Richtung Brust gesenkt, ganz wichtig!“, sagte Özcan.

„Das macht mein Schlabberkinn automatisch“, sagte Monika. Özcan begann laut zu lachen.

„Du solltest nicht so abwertend über dich reden, auch wenn Humor gut ist, mit dem eigenen Körper umzugehen. Sorge für dich und rede gut mit dir.“

„Wie lange soll ich die Streckung halten?“

„Etwa 15 Sekunden, dann kurze Pause. Vier Wiederholungen.“

Nach der vierten Wiederholung sagte Özcan: „Sehr gut. Schüttle deine Arme und Beine kurz aus, dann kommen wir zur Aufdehnung der Rückseite. Komm bitte mit mir zur Liege rüber. Stell dich wieder hüftbreit etwa einen Meter vor die Liege. Zuhause kannst du einen Tisch verwenden. Beuge dich nach vorne, leg deine Unterarme auf die Liege, achte dabei darauf, dass die Wirbelsäule gestreckt ist. Bring die Knie so weit in Streckung, dass du ein deutliches Ziehen hinten in den Oberschenkeln spürst[4].“

„Puh, ganz schön anstrengend“, sagte Monika während der zweiten Wiederholung.

„Tja, ich habe gesagt, du musst dich nicht auspowern, ich habe nicht gesagt, dass es nicht anstrengend wird, oder?“, sagte Özcan und zwinkerte Monika zu. „Komm, du schaffst das!“

Seitstütz stärkt Schulter-, Bauch- und Rückenmuskulatur

Özcan klatschte in die Hände, als Monika die Position das vierte Mal 15 Sekunden gehalten hatte. „Sehr gut, sehr gut“, rief er. „Die Übungen für den unteren Rücken sind für dich besonders wichtig, da du so viel am Schreibtisch sitzt. Nun machen wir noch zwei Übungen, um deine Muskulatur insgesamt zu stärken.“

„Ich wollte nicht aussehen wie Schwarzenegger“, sagte Monika.

„Keine Angst, du wirst nicht aussehen wie ein siebzigjähriger Mann!“ Beide lachten.

„Nein, im Ernst, es geht nicht darum mit Muskeln zu protzen, sondern sie so zu trainieren, dass sie ihrer Stützfunktion nachkommen können. Komm bitte wieder zur Matte rüber.“

Während sie rüber ging, fragte Sie: „Brauchen wir keine Gewichte zum Muskeltraining?“

„Doch, aber das hast du schon dabei.“

Monika blickte ihn ratlos an.

„Dein Körpergewicht ist das Gewicht, das wir brauchen.“

„Ja, davon habe ich genug.“

Özcan winkte ab. „Alles gut“, sagte er. „Geh bitte runter, Bauch zum Boden und dreh dich zur Seite. Die nächste Übung heißt Seitstütz. Stütz dich auf den Unterarm, strecke dabei die Finger gerade nach vorne. Lege deine Beine gerade aufeinander und dann, heb deine Hüfte hoch[5].“

Monika versuchte es, kippte nach hinten. Sie blieb auf dem Rücken liegen und fing laut an zu lachen.

„Den sterbenden Schwan machen wir beim nächsten Mal. Jetzt Seitstütz. Los“, sagte Özcan.

„Ist ja gut“, sagte Monika und nahm wieder die beschriebene Position ein. Dieses Mal schaffte sie es nicht umzukippen.

„Gut, 30 Sekunden halten“, sagte Özcan.

Monika schnaubte. 30 Sekunden können ganz schön lang sein, dachte sie. Sie konzentrierte sich auf ihren Atem, ließ ihren Körper einfach Körper sein. Genauso machte sie es bei der zweiten Wiederholung. Dennoch spürte sie nach etwa der Hälfte der Zeit, wie ihr richtig heiß wurde, sie spürte ein Ziehen in den Muskeln. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Gerade als sie zu Grübeln begann, sagte Özcan:

„Okay, genug.“ Monika ließ die Hüfte sinken und atmete tief durch.

Planks zur Stärkung des Rückens und der gesamten Muskulatur

„Sehr gut! Die letzte Übung heißt Plank! Dreh dich auf den Bauch, stütz dich schulterbreit auf beide Unterarme, so dass die Schultern über den Ellenbogen sind. Heb nun deinen Körper. Du bist nur mit Unterarmen und Zehenspitzen am Boden. Gesäß, Becken und Rücken bilden eine gerade Linie. Halte auch den Kopf gerade, Blick zum Boden, nicht nach vorne. Versuche noch, den Bauchnabel nach innen zu ziehen[6].“

Übung Plank, sport Rückenschmerzen

„Muss man nicht studiert haben, um so viele Anweisungen gleichzeitig befolgen zu können?“

„Wenn du noch Kraft zum Sprücheklopfen hast, machst du die Übung nicht richtig.“

Monika spürte die Spannung in ihrem Körper, sie fühlte, wie sich Wärme in ihr ausbreitete.

Nach 30 Sekunden sagte Özcan: „Gut, geh runter, kurz Durchatmen.“ Er wartete etwa wieder eine halbe Minute, dann sagte er:

„Okay, komm noch einmal.“

Wieder nahm Monika die Position ein, wieder breitete sich Hitz in ihr aus. Überall spürte sie die Spannung, die Anstrengung. Sie merkte, wie ihr Körper zu zittern begann. Sie konnte es nicht unterdrücken. Ihre Muskeln begannen zu schmerzen.

„Komm, noch fünf Sekunden, das schaffst du!“, hörte sie Özcans Stimme.

Sie wollte sich keine Blöße geben. Sie lenkte ihre gesamte Aufmerksamkeit auf ihre Unterarme und Zehen, sie nahm das Zittern an, anstatt sich dagegen zu wehren. Obwohl die Schmerzen immer größer wurden, hielt sie die Plank.

„Und fertig“, rief Özcan.

Sofort ließ sich Monika nach unten fallen. Wie ein toter Fisch klatschte sie auf den Boden.

Das Trainingsprogramm gegen Rückenschmerzen

„Okay, ruh dich kurz aus. Das hast du klasse gemacht!“, sagte Özcan. „Wenn du die Übungen immer so gut machst, hast du in wenigen Wochen stahlharte Muskeln!“

„Wie gesagt“, keuchte Monika, „kein Schwarzenegger.“

„Nein, gesunder Rücken“, sagte Özcan lachend. „Du solltest dir angewöhnen, die Übungen jeden Tag zu machen.“

Monika stand langsam auf, drehte ihren Kopf nach links und rechts, um den Hals etwas zu lockern.

„Uff, ob ich das schaffe“, sagte sie.

„Bestimmt. Die ersten Tage erfordert es etwas Disziplin, aber schon in wenigen Wochen wirst du dich daran gewöhnt haben. Wenn du dann die Übungen einen Tag nicht machst, wird dir etwas fehlen.“

„Ich glaube nicht, dass mir Bewegung fehlen wird.“

„Du wirst dich wundern.  Und wenn dir die Motivation fehlt, denk daran, wie du unter dem Schreibtisch festhingst.“

„Gutes Argument!“

Training, Gewohnheit und Erfolg

Damit sie die Übungen auch gut zuhause machen konnte, hatte Özcan Monika einen Trainingsplan mitgegeben, in dem sie detailliert beschrieben war.

Bevor sie am Abend zu Bett ging, legte Monika sich den Trainingsplan neben ihr Meditationskissen. Das Meditieren hatte sie sich bereits zur Morgenroutine gemacht. Diese Routine erweiterte sie nun um das Rückentraining.

An den ersten Tagen hatte es noch gut geklappt. Sie war mit großer Motivation aufgestanden und hatte sofort mit den Übungen begonnen. Danach fühlte sie sich erschöpft, aber zufrieden und wohl.

Am sechsten Tag war sie recht müde, weil sie am Abend zuvor Besuch von Freunden hatten und deswegen später Schlafen gegangen waren. Sie konnte sich nicht aufraffen, die Rückenübungen zu machen, sondern schlurfte direkt zur Kaffeemaschine. Ein Tag ohne ist nicht so schlimm.

„Versuch es trotzdem, auch wenn du müde bist“, hatte Özcan bei der nächsten Phyisositzung gesagt. „Du musst auch nicht immer direkt nach dem Aufstehen trainieren.“

An den nächsten Tagen schaffte sie es wieder problemlos. Zwei Wochen später waren sie abends zur Geburtstagsfeier bei Holgers Arbeitskollegen eingeladen. Am nächsten Morgen war Monika so müde, dass ihr Körper sich wieder nur nach einem Koffeinschub in Form warmer brauner Flüssigkeit sehnte. Nachdem sie diesem Bedürfnis nachgegeben hatte, raffte sie sich auf und machte die Übungen. Trotz der Anstrengung fühlte sie bereits während des Trainings ein Glücksgefühl in sich aufsteigen.

Auch wenn es im Moment anstrengend ist, hilft es langfristig Rückenschmerzen zu vermeiden. Das kurzfristig Unangenehme in den Kauf nehmen kann langfristig der Gesundheit und dem Wohlbefinden – eine lohnende Investition. Vor allem, wenn man dann nicht vor dem Chef Vollmond unterm Schreibtisch spielen muss.

Unterstützung durch Meditation

Bei der nächsten Sitzung des Meditationskurses hatte Monika Karsten von ihrem Problem berichtet. Er konnte sehr gut nachvollziehen, wie sich Monika gefühlt haben musste und bekräftigte sie darin, in solchen Situationen eine kurze Atemübung zu machen. Dies entspannt den Körper und hilft vor allem, die zusätzliche Anspannung durch Scham, Angst oder andere Gefühle zu reduzieren.

„Monika hat mir gerade berichtet, dass sie letzte Woche große Probleme mit dem Rücken hatte“, sagte er, als er den Kurs eröffnete zu allen Teilnehmenden. „Ich bin sehr dankbar für den Hinweis. In der Regel praktizieren wir Meditation, während wir auf den Meditationskissen sitzen. Dies ist nicht unbedingt notwendig. Ihr könntet genauso gut auf einem Stuhl sitzen, stehen oder liegen, je nach dem, was für euch am besten ist. Die Haltung auf dem Meditationskissen kann Rückenschmerzen verstärken.“

„Danke für den Hinweis. Ich habe auch seit einiger Zeit Probleme mit den Bandscheiben und es schmerzt mich manchmal sehr, auf dem Meditationskissen“, sagte eine der Teilnehmerinnen.

„Das glaube ich“, sagte Karsten. „Was euch vielleicht auch helfen kann, sind Meditationen, die gezielt den Fokus auf die Rückenschmerzen legen. Ich schicke euch einen Link.“

Monika probierte in den folgenden Tagen die Meditation, die Karsten empfohlen hatte. Tatsächlich hatte sie das Gefühl, dass die Schmerzen im Rücken dadurch weniger wurden, obwohl Karsten auch gesagt hatte, dass sie die Meditation regelmäßig anwenden sollten, um wirklich gute Ergebnisse zu erzielen. Besonders toll fand sie, dass sie sich nun auch im Alltag kurz in die Meditation begeben konnte, wenn sie wieder ein Stechen im Rücken spürte. Und sie war froh, dass sie nun 6 + 1 Übungen hatte, ihrem Rücken etwas Gutes zu tun.


[1] Aufwärmübungen: effektives Warm-up | Die Techniker (tk.de)

[2] Mobilisation der geraden Rückenmuskulatur | Die Techniker (tk.de)

[3] Mobilisation der geraden Rückenmuskulatur | Die Techniker (tk.de)

[4] Einfache Übungen bei Schmerzen im unteren Rücken (mit Video) (online-physiotherapie.de)

[5] Rückentraining zu Hause – so stärken Sie Ihren Rücken (aok.de)

[6] Rückentraining zu Hause – so stärken Sie Ihren Rücken (aok.de)


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Blog-Archiv

Dein Liebevolles Wesen hilft dir deine Ängste zu überwinden

„Ich bin dein Liebevolles Wesen. Ich helfe dir, deine Ängste zu überwinden und gebe dir, was du brauchst!“, sagte die Gestalt, die vor Monika stand.

Monika blickte nach unten. Der Felsvorsprung vor ihr wurde immer schmaler, bis er zu einer Brücke zusammenlief, die nur wenig breiter war als Monikas nebeneinandergestellte Füße. Der Abgrund war so tief, dass Monika den Boden nicht erkennen konnte.

Vielleicht lag dies aber auch daran, dass sie sich kaum über den Rand zu blicken traute. Zu groß war ihre Höhenangst. Diese hatte sie seit ihrer Kindheit.

Sie kann sich noch an jedes Detail erinnern. Sie hatte mit ihren Freundinnen im Garten ihrer Großeltern gespielt. Die Frühlingssonne war gerade dabei Pflanzen und Tiere aus der winterlichen Starre zu erwecken und die letzten Schneereste zu schmelzen. Es war der erste richtig schöne Tag des Jahres, der die Kinder wie der Bannspruch einer Hexe nach draußen zog.

Sie spielten Räuber und Gendarmen, jagten sich über die Wiese oder versteckten sich hintern den vielen Obstbäumen und Sträuchern, die ihnen jedes Jahr süße Köstlichkeiten bescherten.

Die Freude vor der Angst

„Ich mag nicht mehr Räuber spielen, lasst uns klettern“, sagte Maria, während sie schon auf einem Ast über dem Kopf ihrer Freundinnen saß.

„Au ja, ich liebe Klettern!“, sagte Jutta und griff mit ihren Händen nach den untersten Ästen. Schnell gewannen die Mädchen an Höhe.

Monika stand noch zwischen den knorrigen Wurzeln des Baumes, die hi und da aus der Erde ragten. Ihre Hände lagen auf den Ästen, an denen auch ihre Freundinnen sich hochgezogen hatten, aber sie wusste noch nicht, wie sie da hochkommen sollte.

„Komm schon hoch Monika!“, rief Maria, die inzwischen gut zwei Drittel der Höhe des Baumes überwunden hatte. „Stütz dich einfach mit den Füßen am Stamm ab und zieh dich mit den Händen hoch. Das ist ganz einfach!“

Ganz einfach, wenn man es kann, dachte Monika. Aber sie wollte nicht doof nach oben blicken, während ihre Freundinnen von oben herab lachten. Sie machte einen Satz, presste das linke Bein gegen den Stamm und zog sich mit aller Kraft nach oben. Nach kurzer Anstrengung gelang es ihr, das rechte Bein über den Ast zu schwingen, an dem sie sich festhielt. Sie zog ihren Körper nach, fand halt und saß schließlich auf dem Ast.

Das Glück des ersten Erfolges zog ihre Mundwinkel nach oben. „Ich komme“, rief sie ihren Freundinnen zu. Nun lagen die Äste enger beisammen. Es handelte sich wirklich um einen guten Kletterbaum. Schnell schloss Monika zu ihren Freundinnen auf.

Die Angst befällt sie

Die vier Mädchen hatten bald einen guten Sitzplatz im Baumwipfel gefunden. Von dort aus konnten sie den gesamten Garten und die Felder ringsum überblicken. Sogar auf den Balkon am Haus von Monikas Großeltern konnten sie von hier aus ohne Probleme sehen.

Sie plauderten und scherzten, neckten sich und lachten zusammen. „Hier oben ist es langweilig, ich will Radfahren“, sagte Jutta und klettere schon wieder nach unten.

„Gute Idee!“, sagte Hilde und folgte ihr. Maria tat es ihr gleich. Schnell hatten die drei den Boden erreicht und rannten in Richtung Einfahrt, wo sie ihre Fahrräder abgestellt hatten.

„Hey, wartet auf mich!“, rief ihnen Monika hinterher. Sie saß immer noch in der Astgabel, die sie gerade noch für den besten Ort der Welt gehalten hatte. So entspannt konnte man darinsitzen, fast liegen und den herrlichen Rundumblick genießen.

Beim Blick nach unten fand sie die Astgabel nicht mehr so großartig. So weit weg vom festen Boden. Und irgendwie auch ziemlich wackelig. Sehr wackelig!

Mit beiden Händen umklammerte sie die Äste. Die Welt verlor ihre Festigkeit. Es fühlte sich an, als zogen Wellen durch sie hindurch, brachten alles ins Wanken, immer stärker, immer heftiger.

Monika konnte sich nicht bewegen. Fester und fester umklammerte sie die Äste, ihre Fingernägel schnitten in die Rinde. Tränen liefen über ihre Wangen. Sie wollte rufen, doch es drang nur leises Wimmern aus ihrer Kehle.

Verfestigung und Übertragung der Angst

Sie konnte nicht sagen, wie lange sie reglos in der Astgabel ausharrte. Irgendwann kamen ihre Freundinnen wieder ums Haus und sahen, dass sie immer noch hoch oben im Baum saß. Auch auf Zurufe hatte Monika nicht reagiert. Deswegen hatten die Freundinnen Monikas Opa geholt, der mit der großen Leiter zu ihr hinaufstieg und sie herunterholte. Es dauerte mehrere Stunden, bis sich die Panik in ihr wieder einigermaßen legte.

Von diesem Tag an hatte Monika Angst vor der Höhe, wobei Höhe eigentlich übertrieben ist. Es bereitete ihr bereits Probleme, auf einen Stuhl oder eine zweistufige Klappleiter zu steigen. Immer wenn die Entfernung ihrer Augen zum Boden größer war als gewohnt, begann sich die Welt aufzulösen, in Wellen und Strudel überzugehen. Monika musste sich dann festklammern, konnte sich nur mit Mühe wieder besinnen und hinabsteigen auf den sicheren Untergrund.

Auch später mit ihren Kindern war es ihr nicht möglich etwas mitzumachen, das mit Höhe zu tun hatte. Sie konnte nicht mit ihnen in einen Kletterwald, auf einen Baumwipfelpfad oder ein Klettergerüst. Nicht einmal auf eine Rutsche konnte sie mit ihnen steigen.

Dabei war es egal, ob der Untergrund wackelig oder stabil war. Auch einen schmalen Weg beim Wandern konnte sie nicht überwenden. Ebenso wenig konnte sie auf einen Aussichtsturm. Alles, was mit Höhe zu tun hatte, wo auch nur im Entferntesten die Möglichkeit bestand, zu fallen, war für sie unmöglich.

Konfrontation mit der Angst

Und nun stand sie da, vor dem Abgrund, so tief, dass sie den Boden nicht erkennen konnte. Nur eine schmale Brücke, kaum so breit wie ein DIN-A4-Blatt. Wäre die Brücke überhaupt stark genug, um Monikas Gewicht zu tragen? Sie wusste, dass ihr Übergewicht eine Gefahr für ihre Gesundheit darstellte, aber an eine einstürzende Brücke hatte sie dabei bislang nicht gedacht.

Auf der anderen Seite der Brücke konnte sie den rettenden Ausgang sehen, der sie ins Tageslicht führen würde. Hinter ihr lag die Höhle, die sie durchquert hatte, ihre Höhle der Angst und des Schreckens. Alles, wovor sich Monika fürchtete, war in dieser Höhle zusammengekommen.

Die Undurchdringliche Dunkelheit, die sich wie ein schwarzes Tuch aus Flies über ihre Augen gelegt und es unmöglich gemacht, irgendwas zu erkennen.

Spinnen Angst überwinden

Das Pfeifen und Heulen, das aus allen Richtungen zu kommen schien. Handelte es sich dabei um ein Tier? Fledermäuse? Ratten? Einen Wolf? Oder etwas viel unheimlicheres, unvorstellbares? Monika wollte gar nicht darüber nachdenken.

Zudem hatte es vor allerlei krabbelnden Tieren gewimmelt. Spinnen, die nicht nur versuchten, an Monika emporzuklettern, sondern die auch immer wieder quer durch die Höhle ihr Netze gesponnen hatten, in die Monika blind durch die Dunkelheit ohne Vorwarnung hineinlief. Überall an ihr hingen sie – an ihren Händen, ihren Schultern, ihren Beinen, ihrem Hals, sogar in den Haaren.

Als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, waberte durch die gesamte Höhle der süßlich-fahle Geruch verwesenden Fleisches. Wie viele tote Tieren mochten in der Höhle liegen? Waren es nur Tiere?

All dies hatte Monika hinter sich gebracht, alle ihre kleineren Ängste überwunden. An ihrer größten Angst drohte sie nun zu scheitern. Höhe war für sie unüberwindbar. War es die Höhe oder die Angst zu fallen? Egal. In jedem Fall stand die Angst zwischen ihr und dem Ausgang. Sie musste sich ihr stellen, wollte sie dem Verlies des Schreckens entkommen.

Die Angst wird übermächtig

In winzigen Tippelschritten bewegte sich Monika in Richtung der Brücke. Der Abgrund links und rechts davon wurde immer größer. Ihre Hände hatte sie zur Seite gestreckt, griff immer wieder aus, als suche sie Halt. Halt, den es nicht gab. Neben ihr war nichts als Leere.

Tränen stiegen Monika in die Augen, sie stieß ein leises Wimmern aus. Unkontrolliert. Eine nicht unterdrückbare Reaktion ihres Körpers.

Verzweiflung breitete sich in ihr aus. Sie begann zu zittern, zu schwitzen, zu hyperventilieren. Sie spürte ihr Herz bis unter ihr Kinn schlagen.

Wie sollte sie das nur schaffen? Wie sollte sie nur ihre unendliche Angst vor der Höhe überwinden, auf dieser schmalen Brücke? Sie musste doch aus dieser Höhle kommen? Nur wie?

Sie hatte den Impuls sich einfach zu setzen, sich zusammen zu kauern wie ein Embryo, sich zu verpuppen in einem eingebildeten Kokon und einfach der Welt zu entfliehen.

Das Liebevolle Wesen

Gerade als sie zu Boden gehen wollte, sah sie einen Lichtschein vor sich. Es war nicht das Licht des Höhleneingangs. Es hatte einen unnatürlichen, hellblauen Schimmer.

Die Intensität des Lichts änderte sich immer wieder leicht. Es schien, als würde das Licht atmen, atmen in einem ruhigen, entspannten und ausgeglichenen Rhythmus.

Monika richtete sich wieder auf, konzentrierte sich auf das Licht. Unwillkürlich passte sie ihren Atem dem Rhythmus des Lichts an. Langsam floss ihr Atem. Sie spürte, dass sie ruhiger wurde. Das Zittern ließ nach.

Plötzlich nahm sie wahr, dass es sich nicht nur um ein Licht handelte, das vor ihr erschienen war. In der Mitte des Lichts erkannte sie eine Person.

Nein, es war keine Person. Das Wesen war größer als ein Mensch. Es schien einen Mantel gekleidet zu sein. Einen Mantel mit Kapuze. Nein, es war kein Mantel. Vielmehr wirkte es wie eine Kutte, eine Mönchskutte.

Die Mönchskutte wehte sanft hin und her als würde ein lauer Sommerwind sie bewegen. Jetzt registrierte Monika, dass weder Hände noch Füße aus Kutte ragten. Waren sie verdeckt oder hatte das Wesen keine?

Unter der Kapuze erkannte Monika ein Gesicht. Es schien das Gesicht einer Frau zu sein, einer jungen Frau. Kinn und Kiefer waren sanft gerundet, die Wangen leicht geschwungen wie die Flügel eines Vogels.

Die Augen lagen tief in ihren Höhlen, dunkel wie der Nachthimmel. Dennoch schienen sie zu strahlen. Konnte schwarz strahlen?

So ein Wesen hatte Monika noch nie gesehen. Sie überlegte, ob es sich um den Tod handelte, der sie nun holte. Dennoch verspürte sie keine Angst. Im Gegenteil, sie wurde immer ruhiger und entspannter. Ihr war, als würde sich Wärme in ihr ausbreiten, eine Wärme, die tief aus ihrem Inneren kam.

„Wer bist du?“, fragte Monika.

„Ich bin dein Liebevolles Wesen. Ich bin deine Selbstliebe!“

Deine Angst lähmt dich, lässt dich erstarren. Deine Selbstliebe lässt dich handeln, lässt dich die Zukunft erschaffen, die du dir wünschst.

Das Liebevolle Wesen hilft die Angst zu überwinden

„Woher kommst du?“

„Ich komme aus deinem Inneren, ich bin immer da, ich bin für dich da, ich helfe dir.“

„Warum habe ich dich noch nie gesehen?“

„Weil ich zu schwach war. Ich war nur ein schwaches Glimmen in deinem Herz. Deine negativen Gedanken waren zu stark.“

„Warum bist du dann jetzt hier?“

„Du hast deine Achtsamkeit und dein Selbstwohlwollen gestärkt, hast gelernt, Leid zu akzeptieren. Du hast gelernt, dich selbst zu lieben. Mit all dem hast du deine Selbstliebe gestärkt, hast du mich gestärkt. Nun bin ich stark genug, für dich da zu sein, dir zu helfen.“

„Hilfe kann ich gerade gut gebrauchen. Ich habe solche Angst vor diesem Abgrund.“

„Ich weiß, ich bin für dich da, ich helfe dir.“

Monika spürte, dass es um sie herum wärmer wurde, als würde jemand einen Arm um sie legen, sie halten, sie umarmen.

„Wie kannst du mir helfen? Du kannst mich doch nicht halten“, sagte Monika.

„Das ist richtig. Ich gebe dir Mut und spreche dir gut zu. Ich helfe dir zu handeln, denn das ist das entscheidende. Deine Angst lähmt dich, lässt dich erstarren. Deine Selbstliebe lässt dich handeln, lässt dich die Zukunft erschaffen, die du dir wünschst.“

Der Weg aus der Angst

„Schau nur mich an und setze langsam einen Fuß vor den anderen. Ich bin bei dir!“, sagte das Liebevolle Wesen.

Monika holte tief Luft, setzte dann ihren linken Fuß nach vorne. Ihr Fuß stand nun direkt am Übergang zur Brücke. Gleich würde sie den breiten, sicheren Untergrund verlassen.

„Trau dich, ich bin da“, sagte das Liebevolle Wesen.

Monika setzte den rechten Fuß nach vorne. Sie bewegte sich langsam und bedächtig, wie in Zeitlupe.

Obwohl sie nun auf der kaum 30 cm breiten Brücke stand, war sie ruhig. Kein Zittern, kein Schwitzen. Sie lächelte ihr Liebevolles Wesen an, blieb mit ihrem Blick fest in dessen Gesicht.

Schritt um Schritt arbeitete sie sich nach vorne.

Enge Brücke

Als sie etwa ein Drittel der Brücke gegangen war, fühlte sich Monika leicht und frei. Sie hatte Mut gefasst, beschleunigte ihre Schritte. Links, rechts, links ging sie weiter. Dann setzte sie ihren rechten Fuß zu nah an die Kante der Brücke. Sie rutschte ab, ihr linkes Bein knickte ein.

Ruckartig warf sie ihren Oberkörper nach vorne, stützte sich mit beiden Händen auf der Brücke ab, konnte sich gerade noch halten.

Ihr Atem setzte einen Moment aus, bevor er wieder zu einem Hyperventilieren wurde. Blutdruck und Puls schnellten in die Höhe, ihr Herz schien aus ihrem Körper springen zu wollen. Tränen rannen über Monikas Wangen.

Dein Liebevolles Wesen ist in der Angst bei dir

„Alles ist gut, du bist sicher. Du schaffst das. Ich bin bei dir“, hörte sie die Stimme des Liebevollen Wesens.

Sie hob den Blick, sah wieder in das Gesicht des Liebevollen Wesens.

„Sieh mich an“, sagte es. „Schau mir in die Augen und vertraue mir. Ich lasse dich nicht allein. Lass uns gemeinsam drei tiefe Atemzüge nehmen. Sie werden dich beruhigen.“

Gemeinsam mit dem Liebevollen Wesen atmete Monika dreimal tief ein und aus. Sie spürte, wie sich ihr Herzschlag wieder verlangsamte, die Intensität nachließ. Ruhe breitete sich in ihr aus, ihr Körper entspannte sich.

„Zieh dein rechtes Bein wieder hoch und richte dich langsam auf. Du kannst das“, sagte es.

Behutsam tat Monika wie ihr geheißen. Ganz langsam richtete sie sich auf. Ihr Blick blieb bei ihrem Liebevollen Wesen.

„Vergiss die Achtsamkeit nicht. Ein achtsamer Umgang mit dir und deiner Umgebung ist ebenso wichtig wie die anderen Elemente der Selbstliebe. Achte auf dich, achte auf den Weg.“

Monikas Angst war nicht verschwunden, aber sie war von einem Ungeheuer, das alles und jeden dem Erdboden gleich macht, zu einem angeketteten Schäferhund geworden, der aufmerksam in der Ecke sitzt, bei Gefahr Laut gibt und ansonsten seinem Frauchen aufs Wort folgt.

Neuer Mut

Das Liebevolle Wesen hatte Recht. Monika war übermütig geworden, hatte nicht mehr auf den Weg geachtet. Dabei war dies das erste, das sie in ihrem Meditationskurs gelernt hatte: Achtsamkeit, die Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt.

Als sie wieder aufrecht auf der Brücke stand, schloss sie ihre Augen und machte sie einen tiefen, bewussten Atemzug. Sie öffnete die Augen wieder, richtete den Blick auf ihre Liebevolles Wesen und ging weiter.

Bei jedem Schritt setzte sie ihren Fuß ganz bewusst auf den Boden. Erst wenn sie sicher stand, hob sie den anderen Fuß nach vorne und setzte dann diesen ebenso auf.

Schritt für Schritt arbeitete sie sich weiter. Die Sicherheit kehrte zurück, dennoch behielt sie ihre Achtsamkeit bei.

Mit jedem Schritt fühlte sich Monika mehr mit ihrem Liebevollen Wesen verbunden. Sie spürte seine Wärme, seine Präsenz, seine Liebe. Sie fühlte sich sicher und geborgen.

Monikas Angst war nicht verschwunden, aber sie war von einem Ungeheuer, das alles und jeden dem Erdboden gleich macht, zu einem angeketteten Schäferhund geworden, der aufmerksam in der Ecke sitzt, bei Gefahr Laut gibt und ansonsten seinem Frauchen aufs Wort folgt.

Mit den kleinen Schritten schaffte es Monika schließlich über die Brücke, die in ein breites Plateau vor dem Höhlenausgang überging. Ihr Liebevolles Wesen umfing sie, schenkte ihr eine liebevolle Umarmung, bevor Monika durch es hindurchglitt und auf den Ausgang zusteuerte.

Erfüllt vom Glück, zufrieden und Stolz verließ Monika die Höhle und trat auf eine saftig grüne Wiese, auf der Tulpen, Primeln und Narzissen in ihrer ganzen Farbenpracht erstrahlten. Die Sonne strahlte ihr ins Gesicht, der frische Duft der Blumenwiese stieg in ihre Nase. Sie atmete tief ein, schloss die Augen, genoss den Moment und war einfach glücklich.

Zurück in ihre Umgebung

„Bereite dich langsam darauf, vor, diese Meditation zu beenden“, sagte Karsten. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Und wenn du so weit bist, kehre wieder ganz in deine Umgebung zurück.“

Monika öffnete die Augen, nahm das Gelb, Grün, Rot und Blau der Gebetsfahnen an den Wänden wahr. Langsam wurde sie sich gewahr, wo sie war: Im Kursraum des Meditationslehrgangs. Um sie herum saßen im Halbkreis neun andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer, im Zentrum des Halbkreises saß Karsten, der Meditationslehrer. Er lächelte in die Runde.

Monika blinzelte noch einige Male, um sich wieder an die Helligkeit zu gewöhnen, streckte ihre Arme so weit sie konnte nach oben, holte noch einmal tief Luft. Sie fühlte sich ein wenig müde, vor allem aber leicht und wohl, genoss den Moment.

„Meditationen wie diese“, hörte sie Karstens Stimme, „in denen ihr mit euren schlimmsten Ängsten konfrontiert werdet, können euch helfen, eure Ängste zu überwinden. Je öfter ihr dies wiederholt, desto kleiner wird eure Angst. Das Liebevolle Wesen kann euch auch im Alltag helfen. Ihr wisst nun, wie euer Liebevolles Wesen aussieht und könnt es in eurem Geist immer zu euch holen, wenn ihr euch in einer herausfordernden Situation befindet. Es ist immer bei euch. Bis zum nächsten Mal. Liebt euch selbst!“


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Blog-Archiv

Ernährung für ein gesundes Herz – Ernährung nach Herzinfarkt

„Insbesondere nach einem Herzinfarkt ist eine herzgesunde Ernährung wichtig!“, las Monikas Vater auf dem Flyer, den die Ernährungsberaterin ihm gegeben hatte. „Herzgesunde Ernährung“, schnaubte er und warf den Flyer auf den Tisch. „Da darf ich ja gar nichts mehr essen.“

„Ach Papa“, sagte Monika und legte ihm die Hand auf den Arm. „Schau es dir doch erst Mal an.“

„Da muss ich nichts anschauen. Die Ernährungstante hat mir das auch schon vorgebetet. Gemüse und Obst. Vollkorngetreide. Und Hülsenfrüchte. Wie das schon klingt. Hülsenfrüchte. Ich will was Ordentliches essen.“

„Heißt das, du willst so weitermachen wie bisher? Nur Fleisch, Fett und Zucker essen und nicht von der Couch hochkommen? Und dann wunderst du dich, wenn du in ein paar Wochen wieder mit Herzinfarkt in die Klinik kommst.“

Einsicht nach Herzinfarkt?

„Ach, die haben doch jetzt einen Stent eingebaut. Der hält mein Gefäß offen, hat der Professor gesagt.“

„Ja, bis du es wieder mit deiner ungesunden Lebensweise verstopfst“, sagte Monika.

„Ach, was weißt du schon? So ein Herzinfarkt ist doch nichts Schlimmes mehr. Außerdem, wenn es ums Gewicht geht, musst du gerade reden.“

Monika spürte Wut in sich aufsteigen. Sie hielt kurz Inne, atmete einmal tief ein und aus, wie sie es in ihrem Meditationskurs gelernt hatte und antwortete erst dann: „Ja Papa, ich weiß, ich bin auch nicht gerade schlank. Aber vielleicht sollte dein Herzinfarkt uns allen eine Lehre sein. Wir können dankbar sein, dass du ihn überlebt hast und dass es dir wieder so gut geht. Ich möchte aber nicht, dass wir das Schicksal überstrapazieren. Lass uns doch alle gemeinsam etwas ändern.“

„Körner und Salat kannst du dir mit Hühnern und Hasen teilen. Ich bleib bei der Wurst.“

Monika schluckte. Ihr Vater sah sie an, holte tief Luft. Dann sagte er: „Jetzt lass mich erstmal auf Reha gehen. Mal schauen, was die mir dort vorsetzen. Und dann können wir schauen, was wir zu Hause machen.“

Monika wischte sich eine Träne aus dem linken Auge, lächelte. „Dann haben Mama und ich ja noch ein wenig Zeit, so kochen zu lernen, dass es gesund und gut ist“, sagte sie.

„Mit Betonung auf gut!“, sagte ihr Vater lächelnd.

Sehnsucht nach gutem Essen

Dreieinhalb Wochen später kam Monikas Vater von der Reha nach Hause.

„Schön euch zu sehen“, begrüßte er seine Familie, als er aus dem Taxi stieg. Monika war mit ihrer Familie extra gekommen, um ihren Vater bei der Rückkehr nach zwei Wochen Krankenaus und drei Wochen Reha zu Hause zu begrüßen.

Außerdem hatte sie sich mit ihrer Mutter die letzten Wochen intensiv mit Ernährung für ein gesundes Herz auseinandergesetzt. Sie hatten nochmals – ohne ihren Vater – mit der Ernährungsberaterin im Krankenhaus gesprochen. Außerdem hatte Monika viel im Internet recherchiert und stundenlang gelesen[1].

Als Willkommensessen hatte Monika mit ihrer Mutter extra ein gesundes Dreigängemenü kreiert.

Monikas Vater setzte sich wie immer an die Stirnseite des Tisches. „Ah, freue ich mich jetzt auf ein gutes Essen! Das Zeug im Krankenhaus und in der Reha kann man ja nicht Essen nennen. Acht Kilo hab ich abgenommen.“

„Du hast aber noch Reserven“, sagte Monika und klopfte ihm sanft mit der Hand auf den Bauch.

„Haha, selber“, sagte ihr Vater. „Also, was gibt es zu essen?“, fragte er.

„Lass dich überraschen“, antwortete Monika und verschwand in der Küche.

Saaten und Nüsse für ein gesundes Herz

Wenige Minuten später kamen Monika und ihre Mutter mit der Vorspeise. Monika stellte den Teller vor ihrem Vater auf den Tisch.

„Bitte schön, einmal Rote Bete Carpaccio mit Meerrettich, Feldsalat, Saaten und Nüssen.“

„Oh nein, schon wieder Hasenfutter“, sagte ihr Vater. Sophie und Florian lachten. Monika warf den beiden einen strengen Blick zu.

„Probier doch wenigstens einmal“, sagte Monika.

„Entschuldige“, sagte ihr Vater, „aber nach drei Wochen auf Reha kann ich einfach keinen Salat mehr sehen.“

„Ich verstehe dich ja Papa, dass es schwer ist, dich umzustellen. Aber willst du wieder einen Herzinfarkt bekommen? Tu es dir selbst zu liebe.“ Vater schnaubte.

„Dann tu es für Mama. Und für deine Enkel.“

Vater seufzte, probierte dann doch die rote Bete. „Ich hab schon schlechter gegessen.“

„Soll das ein Lob sein?“, fragte Monika.

„Naja, ein Wurstsalat wär mir lieber. Was ist mit dem Salat? Der schmeckt irgendwie… anders.“

„Der ist nur mit Zitrone, Ahornsirup und Chilisalz angemacht.“

„Warum das denn?“

„Weil man Caldwell Esselstyn, einem amerikanischen Herz- und Ernährungsexperten, zufolge auch auf pflanzliches Öl verzichten sollte, wenn man an einen Herzinfarkt hatte.“

„Dann sag diesem Caldwell das kann er selbst essen. Und dieses Hühnerfutter da drauf?“

„Das, was du als Hühnerfutter bezeichnest, sind verschiedene Körner und Nüsse. Die liefern Ballaststoffe, Mineralstoffe, gesunde Eiweiße und Fette[2]. Außerdem schmecken sie gut und haben einen schönen Biss.“

„Du sagtest doch kein Fett.“

„Ein bisschen was brauchst du für deine Zellen und so. Und in den Nüssen und Körner sind Omega-3-Fette, die dafür am besten sind. Aber eben kein zusätzliches Fett.“

„Die knacken bestimmt schön im Schnabel“, sagte Vater. Monika schlug ihm leicht mit der Hand auf die Schulter.

„Iss brav auf du Vogel.“

Kreuzblütler – nicht nur gesund fürs Herz

„Na, dann bin ich ja mal gespannt, was es als Hauptspeise gibt“, sagte Monikas Vater zu Sophie und Florian.

„Mama sagte irgendwas von Steak“, sagte Florian.

„Was? Richtiges Steak? Hatte ich wieder einen Herzinfarkt und bin jetzt im Himmel?“

Holger lachte. „Warte erst mal.“

Als Monika und ihre Mutter den Hauptgang servierten, starrte Vater erst mit offenem Mund auf den Teller und dann zu Florian. „Du hast doch was von Steak gesagt.“

„Ja, das sind Blumenkohlsteaks. Die schmecken superlecker!“, sagte Sophie.

„Ja, das glaube ich auch. Und die Beilagen? Normalerweise gibt’s zu Steak doch Bohnen im Speck und Pommes.“

„Das, mein lieber Papa, sind tomatisierte Bohnen“, sagte Monika.

„Tomati-was?“

„Tomatisiert. Mit Tomatenmark. Und das andere ist Grillgemüse.“

„Lass mich raten, auch alles ohne Fett.“

„Natürlich! Es geht doch um eine gesunde Ernährung für dein Herz.“

„Aber mein Herz braucht doch auch Liebe. Warum tut ihr mir das an?“

„Weil wir dich so lieben und dich noch behalten wollen, auch wenn du grummlig bist.“

Kompletter Verzicht auf Fett?

„Aber darf man denn gar kein Fett essen?“, fragte Vater.

„Das kommt darauf an. Soweit ich das überblicken konnte, wird meist der Verzehr von pflanzlichen Fetten mit einem guten Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren empfohlen. Besonders gut sind hier Olivenöl und Rapsöl[3]. Die natürlich auch nur in Maßen. Auch fettreiche Fische wie Hering oder Lachst sind gut[4].“

„Und warum empfiehlt dieser Caldwell dann gar kein Fett?“

„Esselstyns Empfehlungen gelten vor allem für Menschen, die bereits starke Gefäßverkalkungen haben. Er konnte nachweisen, dass die Ablagerungen in den Gefäßen sogar zurückgehen, wenn man sich so ernährt[5]. Außerdem isst du ja dann nicht gar kein Fett. Viele Lebensmittel wie eben Nüsse, Kerne, aber auch Gemüse enthält Fett. Die sollst du aber nur in geringen Mengen verzehren und vor allem kein Fett zugeben.“

Ich begreife nicht, warum es als drastisch bezeichnet wird, ausgewogen vegetarisch zu essen, während es als medizinisch notwendig gilt, Menschen aufzuschneiden.

Dean ornish

„Das heißt, ihr dürft weiter herrlich schlemmen und ich muss auf jeglichen Genuss verzichten.“

„Wir könnten ein bisschen Fett essen, ja. Es schadet uns aber nicht, auch fettreduziert zu essen.“

„Hat der Mann noch mehr gute Empfehlungen auf Lager?“

„Natürlich. Neben Fett sollst du auf tierische Produkte verzichten. Eigentlich auch auf Nüsse. Hier sind wir also großzügig mit dir.“

„Was für ein Glück“, sagte ihr Vater.

„Dafür ist diese Ernährung nicht nur gut für dein Herz, sondern auch für dein Gewicht, Schlaganfall, Diabetes und Osteoporose[6].“

„Na, jetzt hör auf. So gesund will ich ja gar nicht sein. So viele Einschränkungen sind schon sehr radikal, oder?“

„Da gibt es einen schönen Spruch von Dean Ornish: Ich begreife nicht, warum es als drastisch bezeichnet wird, ausgewogen vegetarisch zu essen, während es als medizinisch notwendig gilt, Menschen aufzuschneiden. Da muss ich ihm irgendwie Recht geben.“

Ernährung für ein gesundes Herz heißt kein Zucker

„Ist ja gut“, sagte Monikas Vater. „Gibt es wenigstens einen schönen Nachtisch, wenn ihr mir schon kein Fleisch und kein Fett gönnt?“

„Natürlich, und da kommt sie auch schon“, sagte Monika uns stellte einen Teller mit Chia-Pudding und frischem Obst vor ihn.“

„Was ist das? Ameisenauflauf?“ Sophie und Florian lachten.

„Nein, Papa. Das ist Chia-Pudding.“

„Und das kann man essen?“

„Ja, es schmeckt sehr gut und ist gesund!“

„Das hast du von den anderen Sachen auch gesagt.“

„Und, haben sie dir geschmeckt?“

„Naja“, sagte Vater mit einem verschmitzten Lächeln. Monika sah ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

„Du liebst doch Pudding.“

„Ja, Schokoladenpudding.“

„Der hat zu viel Zucker. Die Chia-Samen dagegen enthalten die guten Omega-3-Fettsäuren, gutes Eiweiß, Eisen und Calcium[7].“

„Danke für den Unterricht. Hauptsache es schmeckt. Ist wenigstens ein bisschen Zucker drin?“

„Kein raffinierter Zucker. Der lässt deinen Blutzucker zu schnell ansteigen. Das ist nicht nur schlecht für dein Herz, sondern auch für andere Organe. Deswegen ist Ahornsirup drin. Der ist zwar auch nicht gesund, aber nicht ganz so schädlich wie purer Haushaltszucker[8].“

Vater probiert. „Bisschen komische Konsistenz. Aber gar nicht schlecht. An den könnte ich mich zumindest gewöhnen. Über das Steak reden wir nochmal.“

Ich finde es gut, wenn du dich gesünder ernährst, Opa. Du sollst noch lange bei uns sein.

Das Regelmäßige entscheidet über die gesunde Ernährung

„Freut mich, dass es dir schmeckt, Papa“, sagte Monika.

„Das habe ich nicht gesagt“, sagte ihr Vater und zwinkerte ihr zu.

„Wir wollen doch nur, dass es dir gut geht und dass du noch lange bei uns bist.“

„Ohne Fleisch wäre ich vielleicht lieber wo anders.“

„Du musst auch nicht ganz auf Fleisch verzichten. Gegen einen Sonntagsbraten ist gesundheitlich wenig einzuwenden, wenn du dich ansonsten gesund ernährst. Vor allem auf verarbeitete Produkte wie Wurst und Fertiggerichte solltest du verzichten. Die enthalten zu viel Salz, Zucker und andere Sachen, die nicht gesund sind.“

„Wurst wird schwer“, sagte Monikas Vater.

„Das schaffen wir. Und Fertigprodukte kommen bei uns sowieso nicht auf den Tisch“, sagte Monikas Mutter

„Das ist gut. Und glaub mir Papa, Obst und Gemüse können mindestens so lecker sein wie Fleisch und Wurst. Vor allem, wenn du dich daran gewöhnt hast.“

„Ob ich das will?“

Sophie lächelte ihren Opa an, legte ihre Hand auf seine. „Ich finde es gut, wenn du dich gesünder ernährst, Opa. Du sollst noch lange bei uns sein. Außerdem ist es gut für die Tiere“, sagte sie.

Er lächelte sie an. „Schön, dass ihr euch alle so um mich kümmert. Mit so vielen lieben Menschen um mich herum werde ich noch 100 Jahre alt.“

„Dann kannst du auch deinen Urenkeln noch erklären, was zu einer Ernährung für ein gesundes Herz gehört,“ sagte Sophie.

„Das hoffe ich, meine Liebe“, sagte Monikas Vater.

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[1] Ornish, Dean; Ornish, Anne 2022: Undo It! How Simple Lifestyle Changes Can Reverse Most Chronic Diseases; Ballantine Books; New Yor und Esselstyn, Caldwell B. 2022: Essen gegen Herzinfarkt: Das revolutionäre Ernährungskonzept, Trias Verlag; Stuttgart

[2] Zentrum-der-Gesundheit.de: Ein umfassender Überblick auf Nüsse und Kerne

[3] Herzgesunde Ernährung: So schützen Sie Ihr Herz | EAT SMARTER

[4] Omega-3-Lebensmittel – die 10 besten mit Omega-3-Fettsäuren! | eatbetter.de

[5] Esselstyn, Caldwell B. 2022: Essen gegen Herzinfarkt: Das revolutionäre Ernährungskonzept, Trias Verlag; Stuttgart: 105

[6] Esselstyn, Caldwell B. 2022: Essen gegen Herzinfarkt: Das revolutionäre Ernährungskonzept, Trias Verlag; Stuttgart: 31, 36

[7] Zentrum-der-Gesundheit.de: Chiasamen – Die Energiequelle der Azteken

[8] Zentrum-der-Gesundheit.de: Gesunde Zuckerarten als Ersatz


Blog-Archiv

Was bewirkt Meditation?

Was bewirkt Meditation?

„Was bewirkt Meditation eigentlich?“, fragte Holger.

„Es beruhigt und entspannt mich“, antwortete Monika.

„Beruhigen und entspannen, ist das alles?“

„Wie, ist das alles? Was meinst du?“

„Na, Meditation machen doch vor allem buddhistische Mönche. Die wollen sich doch nicht nur ‚beruhigen und entspannen‘. Die wollen doch ins Nirvana.“

„Naja, schon. Es gibt halt unterschiedliche Formen der Meditation. Ich will ja kein Mönch werden. Mir geht es darum, mir etwas Gutes zu tun. Und ich habe das Gefühl, dass Meditation das macht.“

„Aber das kannst du doch auch zu Hause. Hast du doch diese Woche schon gemacht, mit diesen Videos.“

„Ja, schon. Das ist auch gut. Aber ich will es eben noch besser verstehen, mehr darüber wissen. Vielleicht auch andere Formen der Meditation kennenlernen. Deswegen will ich den Kurs machen.“

„Und dann kannst du mir richtig erklären, was Meditation bewirkt?“

„Genau. Und vor allem kann ich beim Kurs in Ruhe meditieren. Das kann ich zu Hause nicht, mit euch drei“, sagte Monika und grinste Holger an.

„Du könntest in meinen Bastelraum gehen“, schlug er vor.

„Klar, sehr entspannt zwischen Metallschienen, Lötkolben und Monitoren. Perfekte Meditationsumgebung.“

„Also, ich kann dort gut entspannen.“

„Danke, ich bevorzuge eher Klangschalen und Gebetsfahnen.“

„Okay, verstehe. Ich wünsche dir viel Spaß beim Kurs. Auch, wenn 200 Euro schon wirklich…“

Monika schlug Holger leicht mit der Hand auf den Oberarm. „Was kosten die Sachen für deine Roboter?“

„Schachmatt. Viel Spaß. Ich liebe dich!“

„Danke! Ich dich auch!“

Begrüßung zur Einführung in die Meditation

„Schön, dass du da bist!“, begrüßte Karsten Monika.

„Schön, dass ich hier sein kann.“

„Sehr gut, ‚hier sein‘ ist wichtig bei der Meditation“, sagte Karsten mit einem Lachen. „Aber dazu später mehr. Komm erstmal rein und setz dich.“ Mit einer einladenden Geste zeigte er auf einen Tisch in der hinteren Ecke des Raumes.

„Ah, gut, es gibt normale Stühle. Ich hatte schon befürchtet, ich muss die ganze Zeit auf so einem Kissen sitzen“, sagte Monika und zeigte auf die Meditationskissen, die wie beim letzten Mal auf Matten in einem Halbkreist verteilt waren.

„Nein, keine Angst. Es geht hier um Meditation, nicht um Folter.“ Die beiden lachten und setzten sich an den Tisch.

„Wie besprochen, gebe ich dir noch eine kurze Einführung in die Meditation, da du bei der ersten Sitzung ja nicht dabei sein konntest, dies aber wichtig ist, um das Selbstliebekonzept zu verstehen.. Ich erkläre dir, was Meditation ist, was Achtsamkeit ist, was du beim Meditieren beachten solltest, was Meditation bewirkt…“

„Sehr gut“, unterbrach Monika Karsten, „das wollte mein Mann nämlich wissen.“

„Dann wirst du es ihm heute Abend erklären können. Aber es geht um dich. Wie gesagt: du kannst nur für andere da sein, wenn du dich um dich selbst kümmerst, du dir selbst Gutes tust. Hast du ihm das auch gesagt?“

„Ja, er hat gesagt, das könne ich auch, indem ich mir entspannt einen Liebesfilm anschaue oder so.“

Karsten lachte. „Das kenne ich. Das hören viele Teilnehmerinnen von ihren Partnern. Das ist normal für jemanden, der Meditation nicht kennt. Vielleicht schaffen wir es ja, dass er auch zu meditieren beginnt.“

„Holger? Niemals!“

„Du würdest dich wundern. Aber jetzt geht es nicht um Holger, sondern um dich. Bevor wir inhaltlich einsteigen, machen wir eine kurze Entspannungsübung, um anzukommen.“

„Gerne.“

„Gut, wir kehren uns zwei Minuten nach innen und lassen alles los, was uns belastet. Einfach zwei Minuten Ruhe und auf den Atem konzentrieren. Am besten schließen wir dabei die Augen.“

Was ist Meditation?

Nach zwei Minuten schlug Karsten sanft eine Klangschale und holte Monika damit zurück. „Wie fühlst du dich nun?“, fragte er.

„Entspannt und bereit.“

„Sehr gut, fangen wir an. Bevor wir uns anschauen, was Meditation bewirkt, was ist Meditation eigentlich? Das lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Meditation ist unglaublich vielfältig. Mal ist sie mehr, mal weniger mit Religion verbunden, man kann Meditation in Ruhe im Sitzen oder wie beim Yoga und Tai-Chi in Bewegung ausführen. Sogar im Gehen. Deswegen gibt es auch keine allgemeingültige Definition von Meditation[1]. Ich kann nur sagen, was ich darunter verstehe. Für mich ist Meditation das Richten von Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Objekt.“

„Auf welches Objekt“, fragte Monika.

„Ein Meditationsobjekt. Das kann im Grunde alles sein. Irgendetwas, auf das du deine Aufmerksamkeit richtest. Zum Beispiel eine Kerze, ein Baum, dein Körper, ein Körperteil oder, wie in der Übung, die wir gemacht haben, deinen Atem.“

„Mein Atem als Meditationsobjekt?“

Atem Meditationsobjekt

„Ja, genau. Mit dem Atem ist es sogar am einfachsten. Du hast ihn immer bei dir und du musst dich nicht besonders anstrengen, ihn wahrzunehmen. Wenn ich dir dagegen sage, nimm deinen Bauchraum wahr, kann es sein, dass du einfach nichts spürst.

Das ist in Ordnung, gerade für Anfänger aber oft unbefriedigend. Den Atem hingegen kannst du immer spüren. Und das hin und her von Ein- und Ausatmung erleichtert es, aufmerksam zu bleiben“, erklärte Karsten.

„Warte. Meditation ist also nicht mehr als das Richten von Aufmerksamkeit auf ein Objekt?“

„Genau. Das ist alles. Ein bewusstes Richten der Aufmerksamkeit.“

„Und was bewirkt das nun?“

Steigerung der Achtsamkeit

„Vor allem steigert Meditation deine Achtsamkeit“, antwortete Karsten.

„Ah ja, meine Achtsamkeit. Und was genau ist das jetzt?“

„Achtsamkeit bedeutet, mit seiner gesamten Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Moment zu sein. Bewusst, ohne zu urteilen. Es ist eine praktische Methode, mit der Ganzheit unseres Seins in engen Kontakt zu kommen[2].“

„Im gegenwärtigen Moment zu sein?“, fragte Monika.

„Stimmt, das klingt vor allem zu Beginn vermutlich verwirrend. Vielleicht wird es so klarer: im Chinesischen setzt sich das Wort ‚Achtsamkeit‘ aus den Zeichen für ‚Jetzt‘ und ‚Geist‘ zusammen[3]. Es bedeutet also nichts anderes, als dass dein Geist ganz hier, in diesem Augenblick ist.“

„Also, Achtsamkeit bedeutet, dass ich mit meinem Geist da bin, wo ich gerade bin. Richtig?“

„So kann man es sagen, ja. Wahrnehmen, was ist.“

„Okay, aber bringt das auch was, wenn ich gerade nicht meditiere?“

„Ja, sehr viel sogar. Zum einen nimmst du eher wahr, was geschieht – in dir und um dich herum. Du bist aufmerksamer, in gewisser Weise empfänglicher für Reize. Zum Beispiel spürst du, wenn bestimmte Gefühle in dir auftauchen und kannst frühzeitig auf diese reagieren.“

„Welche Gefühle meinst du?“, fragte Monika.

Achtsamkeit hilft dir, mit deinen Gefühlen umzugehen

„Eigentlich alle Gefühle. Zum Beispiel merkst du, wenn Wut in dir aufsteigt. Anstatt dass du dann impulsiv aus deiner Wut heraus reagierst, deine Kinder anschreist oder deinen Chef anschnauzt, kannst du innehalten, kurz durchatmen, sozusagen die Wut vorüberziehen lassen und dann besonnen reagieren.“

„Meine Kinder können mich aber wirklich wütend machen. Aber die Wut ist doch in mir. Wie kann ich sie vorüberziehen lassen?“

„Guter Punkt. Das ist wichtig, dir dessen bewusst zu werden: du hast Gefühle und Gedanken. Du bist nicht deine Gefühle und Gedanken[4].“

„Okay, das musst du mir erklären.“

Karsten lacht. „Das glaube ich. Pass auf. Normalerweise sagen wir: ‚Ich habe Schmerzen‘ oder: ‚Ich bin wütend‘. Dabei identifizieren wir uns mit dem Schmerz und der Wut. Das Gefühl ist dann das, was uns bestimmt. Unser ganzes Denken und Handeln wird dem Gefühl unterworfen. Aber Gefühle sind etwas – wie der Name sagt -, das wir fühlen. Das bedeutet, dass wir die Gefühle einfach nur wahrnehmen können. Wir können sie beobachten wie Wolken am Himmel. Wir können hinschauen und uns denken: ‚ah, interessant‘. Und dann die Wolke einfach vorüberziehen lassen. Wahrnehmen, aber nicht übermächtig werden lassen.“

„Meditation bewirkt also, dass ich meine Gefühle als Gefühle wahrnehme und mich nicht mit ihnen gleichsetze. Somit kann ich ruhig und besonnen agieren, auch wenn ich eigentlich wütend bin?“

„Genau. Natürlich auch, wenn du Traurigkeit, Frustration oder ein andres Gefühl fühlst. Aber Achtung: du hast schon wieder gesagt ‚wütend bin‘.“

„Ah, stimmt.“ Monika lacht. „Ich werde mir Mühe geben. Für mich klingt das alles noch ein bisschen theoretisch. Kannst du das mit einem Beispiel erklären?“, fragte Monika.

Achtsamkeit im Alltag

„Oh ja, natürlich. Ich habe mich früher beispielsweise immer total aufgeregt, wenn mich beim Autofahren jemand geschnitten oder mir die Vorfahrt genommen hat. Teilweise habe ich dann minutenlang vor mich hin geschimpft. Dadurch bin ich aber selbst aggressiver gefahren. Jetzt merke ich, wie Wut aufzieht, nehme sie wahr, atme kurz durch und lasse die Wut vorüberziehen.“

„Und das funktioniert so einfach?“

Karsten lacht. „Naja, nicht immer. Es erfordert Übung. Oft hilft es auch, den eigenen Blickwinkel zu ändern.“

„Das bedeutet was?“

„Bleiben wir beim Beispiel mit dem Auto. Wenn ich mir denke, der andere Fahrer hat mich geschnitten, weil er rücksichtslos und egozentrisch ist, ist es wahrscheinlicher, dass Wut in mir aufsteigt. Denke ich aber beispielsweise er fährt so schnell, weil er zu seiner Frau in die Klinik will, die gerade ein Kind bekommt, verfliegt die Wut ganz schnell wieder.“

„Ja, das leuchtet ein. Ich werde es beim nächsten Mal versuchen.“

Psychische Gesundheit

„Setz dich nicht unter Druck“, sagte Karsten. Dieser bewusste Umgang mit den Gefühlen ist auch der Grund, warum Meditation so gut gegen Stress wirkt. Aber nicht nur das.“

„Was denn noch?“

„Meditation steigert dein Wohlbefinden und dein Glücksempfinden. Es erhöht deine Lebenszufriedenheit, steigert Optimismus, Dankbarkeit, Vitalität und positive Gefühle[5].“

„Wow, das ist eine Menge!“

„Ja, aber es kommt noch besser. Meditation steigert nicht nur positive Gefühle, sie hilft auch, psychischen Erkrankungen vorzubeugen oder unterstützt deren Therapie.“

„Meditation hilft gegen psychische Erkrankungen?“

Depression

„Ja, es ist gut belegt, dass Menschen, die regelmäßig meditieren zum einen weniger selbstkritisch sind, dass sie aber auch seltener an Angststörungen, Depressionen oder anderen psychischen Leiden erkranken[6].“

„Das heißt, ich kann Angststörungen und Depressionen mit Meditation heilen?“

„Gut, dass du fragst. Das wollte ich gerade noch hinzufügen. Es ist gut belegt, dass Meditation die Therapie psychischer Erkrankungen unterstützt. Sie sollte aber nur zusätzlich eingesetzt werden! Wer psychisch krank ist, gehört unbedingt in ärztliche Behandlung! Meditation wirkt gut, wenn sie prophylaktisch eingesetzt wird, eine psychotherapeutische Behandlung kann sie aber nicht ersetzten!“

„Das ist gut zu wissen“, sagte Monika.

Körperliche Gesundheit

„Ja, das gleiche gilt für körperliche Erkrankungen.“

„Meditation hilft auch körperlich?“

„Ja, das ist fantastisch, nicht wahr?“

„Welche körperlichen Leiden kann man denn mit Meditation heilen?“

„Achtung, auch hier muss man aufpassen. Meditation kann viele Krankheiten lindern oder deren Therapie unterstützen, es ist aber keinesfalls sinnvoll, nur mit Meditation zu versuchen, Krankheiten zu heilen.“

„Und welche Krankheiten sind das?“

„Das Mindfulness Based Stress Reduction-Programm beispielsweise konnte beeindruckende Ergebnisse bei der Schmerztherapie nachweisen. Sogar Patienten, die seit vielen Jahren an chronischen Schmerzen litten und allerlei Behandlungen hinter sich hatten, konnten durch die Meditation Linderung, zum Teil sogar Schmerzfreiheit erlangen[7].“

„Wirklich? Die Meditation konnte die Schmerzen vollständig beseitigen?“

„Bei vielen für eine gewisse Zeit ja. Bei anderen zumindest lindern. Das Entscheidende war aber, dass die unglaubliche Erleichterung durch die Momente der Schmerzfreiheit ihnen wieder Hoffnung gab und sie mit Meditations- und Achtsamkeitsübungen für sich Wege fanden, mit den Schmerzen zu leben. Beispielsweise durch Atemübungen und das gezielte Lenken der Aufmerksamkeit zum Schmerz. Die Betroffenen können neuen Lebensmut fassen[8].“

„Das ist beeindruckend.“

„Ja, aber nicht nur bei Schmerz, auch bei vielen anderen Erkrankungen ist Meditation hilfreich. Beispielsweise kann regelmäßiges Meditieren die Blutdruck- und Blutzuckerwert verbessern. Damit kann Mediation Herzinfarkt und Schlaganfall vorbeugen. Auch bei Hauterkrankungen und Verdauungsstörungen zeigen sich Verbesserungen. Wo Meditation auch besonders gut hilft, sind Schlafstörungen. Die stressreduzierende Wirkung der Meditation spielt hier sicherlich eine Rolle. Sehr gut sind aber auch Meditationen zum Einschlafen, die helfen, das Grübeln beim Zubettgehen zu beenden und so endlich zur Ruhe zu kommen.“

„Ja, das kann ich mir gut vorstellen[9].“

Ende der Einführungsstunde: Was bewirkt Meditation?

Karsten blickte auf die Uhr. „Oh, die Stunde ist schon vorbei. Gleich kommen die anderen Kursteilnehmer. Ich hoffe, du hast nun eine Idee davon, was Meditation alles bewirken kann. Hast du noch Fragen?“

„Viele“, sagte Monika lachend, „aber ich glaube, die werden im Kurs beantwortet. Aber eine Frage habe ich tatsächlich. Du hast so viele positive Wirkungen von Meditation beschrieben. Gibt es keine Nebenwirkungen? Also ich mein irgendwelche Schäden, die man anrichten kann?“

„Für die allermeisten Menschen ist Meditation vollkommen unbedenklich. Das Schlimmste, was dir passieren kann, sind Verspannungen von der aufrechten Sitzposition. Das wird mit zunehmender Meditationserfahrung aber besser. Es stimmt aber, dass es ein paar Fälle gibt, in denen verdrängte Traumata, zum Beispiel aus der Kindheit, während der Meditation wieder aufbrachen. Diese sind äußerst selten. Und für diese Menschen ist es ohnehin sinnvoll, sich in Behandlung zu begeben. Wenn du keine schweren psychischen Belastungen erlebt hast, kannst du Meditation aber vollkommen bedenkenlos nutzen.“

Meditation ist ein Wundermedikament ohne Nebenwirkungen.

Abends zu Hause

„Und, wie war dein erster Meditationskurs?“, fragte Holger, als er und Monika am Abend im Bett lagen.

„Großartig. Es fühlte sich wirklich toll an, mit den anderen der Anleitung Karstens zu folgen, mich zu spüren, mich wahrzunehmen, zu spüren, wie sich Ruhe und Entspannung in mir ausbreitet. Ich kann es gar nicht benennen, es entsteht so ein wohliges Gefühl, einfach angenehm.“

„Das klingt gut. Und es freut mich, dass es dir so guttut!“ Er gab ihr einen Kuss. „Vor dem Kurs hattest du doch noch die Einführung in die Meditation. Weißt du jetzt, was Meditation bewirkt?“

„Oh ja, mehr als ich mir hatte vorstellen können. Meditation trainiert die Achtsamkeit, reduziert Stress, hilft, die Gefühle besser wahrzunehmen, kann psychischen Erkrankungen vorbeugen oder die Therapie unterstützen.“

„Wow, das klingt beeindruckend.“

„Ja, finde ich auch. Besonders gute Ergebnisse zeigen sich wohl auch bei chronischen Schmerzen. Aber auch Bluthochdruck und Zucker werden besser. Ich bin total beeindruckt. Meditation ist wie ein Wundermedikament ohne Nebenwirkungen.“


[1] Vgl. Ott, Ulrich 2011: Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst; O. W. Barth/Knaur eBook; München: 141-143

[2] Kabat-Zinn, Jon 2010: Im Alltag Ruhe finden. Meditation für ein gelassenes Leben; Knaur-Verlag: 20; 22

[3] Thich Nhat Hanh 2009: Körper und Geist in Harmonie. Die Heilkraft buddhistischer Psychologie; Kösel-Verlag: 69

[4] Beer, Peter 2021: Meditation. Stress und Ängste loswerden und endlich den Geist beruhigen; Arkana; München: 81

[5] Germer, Christopher; Neff, Kristin 2021: Achtsames Selbstmitgefühl unterrichten. Das Handbuch für die professionelle Arbeit; Arbor Verlag; Freiburg im Breisgau: 76, 79

[6] Ebd. 77

[7] Kabat-Zinn, Jon 2013: Gesund durch Meditation. Das vollständige Grundlagenwerk zu MBSR; O. W. Barth

[8] Neff, Kristin 2013: Selbstmitgefühl. Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden; Kailash Verlag; München: 76-79

[9] Kabat-Zinn, Jon 2010: Im Alltag Ruhe finden. Meditation für ein gelassenes Leben; Knaur.Leben: 137

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Zeit für dich

„Es ist nicht egoistisch, wenn du dir Zeit für dich nimmst – im Gegenteil. Wenn du dich um dich selbst kümmerst, bist du dauerhaft in der Lage, für andere da zu sein.“

So hatte Monika das noch nie gesehen. Bislang war sie der Meinung, dass sie andere vernachlässige, wenn sie sich um sich kümmert. Sie spürte, wie sich ihr Blickwinkel verschob. Sie konnte nicht sagen warum, aber sie wusste, dass er Recht hatte. Er hatte Recht damit, dass sie sich selbst vernachlässigte und sich mehr um sich kümmern müsse. Eben Zeit für sich nehmen.

Dabei hatte sie Karsten gerade erst kennengelernt. Vor wenigen Minuten. Zufällig. War es Zufall? Oder Schicksal? Gab es so etwas überhaupt, Schicksal? Egal. Auf jeden Fall hatte sie ihn getroffen und er hatte es geschafft, etwas in ihr auszulösen.

Bis zu ihrer Begegnung war sie enorm im Stress. Wie meistens. Sie hatte gerade einen Auftrag für ihren Chef ausgeführt. Einen von vielen an diesen Tagen. Insofern war es ein gewöhnlicher Tag gewesen. Bis zur Begegnung mit Karsten.

Morgenroutine

Der Tag hatte auch wie ein gewöhnlicher Tag begonnen. Halb sechs aufstehen, Frühstück und Pausenbrote für ihre beiden Kinder vorbereiten, Kleidung für Holger rauslegen dann alle aufwecken. Dazwischen duschen, Zähneputzen, sich selbst anziehen. Nebenbei den Kalender studieren, was heute anstand – in ihrer Arbeit, in Holgers Arbeit, bei den Kindern.

Während Holger und die Kinder am Frühstückstisch saßen, ging sie wie ein Fußballtrainer die Taktik des Tages durch. Der Wochenkalender war die Taktiktafel. Eigentlich war der Plan nur für sie. Sie kümmerte sich um den Haushalt, den Einkauf, Anschaffungen für die Schule, die Freizeitaktivitäten und darum, dass Holger adrett aussah und nichts vergaß. Und natürlich um alles, was sonst noch anstand.

Dabei war es nicht so, dass Holger sich um nichts gekümmert hätte. Er mähte den Rasen und sorgte für Ordnung in der Garage. Auch Schneeräumen war seine Aufgabe. Meistens. Wenn er zu Hause war. Und natürlich alles rund ums Heimwerken. Meistens.

Der Beitrag der Kinder bestand darin, dass sie ihr Zimmer ordentlich hielten. Dies funktionierte. Manchmal. Naja, eher nicht. Immerhin konnte sie die Türe zu den Kinderzimmern schließen.

Nachdem alle über den Tag instruiert waren, kontrollierte Monika noch alle Taschen, damit auch kein Familienmitglied etwas vergaß.

Holger verließ das Haus als Erster, kam meist spät nach Hause. Wenn überhaupt. Mehrmals im Monat war er auf Dienstreise. Auch deswegen hing viel an Monika.

Die Kinder gingen inzwischen allein zur Schule oder fuhren mit dem Rad. Dafür waren sie mit 12 und 15 auch alt genug.

Als Letzte machte sich Monika auf den Weg zur Kanzlei.

Viel Arbeit, keine Zeit

Nachdem ihr Computer hochgefahren war, ploppte unmittelbar eine ‚3‘ in einem roten Kreis über dem Diktierprogramm auf. Eine zugehörige Mail ließ sie wissen: „ASAP“ – as soon as possible. So bald als möglich. Immer brauchten ihre Chefs alles ASAP.

Dabei umfasste ein Diktat oft auch eine Stunde oder mehr. Das Tippen erforderte ungleich mehr Zeit. Sie wusste also, was sie heute tun würde – neben all dem anderen.

Vier Kundentermine standen an. Das hieß viermal frischen Kaffee, viermal Gebäck, viermal servieren, viermal abräumen, viermal Akten vorbereiten, viermal begrüßen, viermal instruieren, viermal verabschieden. Nebenbei. Neben dem Tippen. Und dem Telefon. Und den Mails. Und den spontanen Aufträgen der Chefs.

Dabei wollte sie heute pünktlich Feierabend machen. Was heißt wollte? Musste.

Unkonzentriert

Also hieß es: schnell arbeiten. Bevor sie sich dem ersten Diktat widmete, checkte sie die Mails. Werbung, Werbung, Werbung. Zwei Anfragen bestehender Klienten. Nichts Dringendes. Also Tippen.

Nach gut einer halben Seite plötzlich ein Gedanke. Das Buch, das sie für Sophie besorgen musste, wie hieß es nochmal? Sonne…, Sonne… Sie überlegte. Wo hatte sie den Zettel hingetan. Sie suchte in ihrer Handtasche. Dass die auch immer so groß sein müssen. Ah, da.

Sonne und Beton von Felix Lobrecht. Schullektüre 7. Klasse.

Gut, weiter Tippen. Sie kam voran. Vier Seiten hatte sie schon.

Wann kam eigentlich der erste Klient? Kalender auf, kurzer Blick, halb zehn. Nur noch knapp 20 Minuten. Noch kein Kaffee. Nun aber schnell.

Sie füllte Wasser und Pulver ein, drückte auf Start. Während die Maschine lief, bereitete sie Gebäck und Geschirr auf dem Servierwagen vor. Durchgelaufenen Kaffee in die Thermoskanne füllen, dazustellen. Noch die Akten aus dem Schrank suchen, den Chefs bringen. Fertig.

Weiter tippen. Mitten im Satz wandern die Gedanken. Was musste sie heute Abend noch erledigen? Buch für Sophie besorgen, Holgers Koffer vorbereiten, Florians Fußballzeug für das morgige Training vorbereiten. Was war noch?

Vier Sachen. Was war es noch? Holger, Sophie, Florian. Für wen musste sie noch etwas erledigen? Egal, würde ihr schon noch einfallen. Zurück zum Diktat.

So ging es weiter. Immer wieder sprangen die Gedanken von einem Thema zum anderen, wie Affen von Baum zu Baum.

Sie hatte so vieles im Kopf, dass sie es nicht schaffte, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Dadurch brauchte sie für alles noch mehr Zeit.

Keine Zeit, mehr Arbeit

Nachdem der zweite Klient gegangen war, brachte ihr Chef Monika einen Stapel Papiere, die sie kopieren und mit Siegel versehen, ihm dann wieder zur Unterschrift vorlegen solle. ASAP. Wie immer.

Also unterbrach sie das zweite Diktat und machte sich ans Kopieren. Kurz durchatmen, während das Gerät arbeitete.

Einen Tisch im Restaurant reservieren für den Hochzeitstag ihrer Eltern. Das war es, was sie noch erledigen musste. Ihr Vater telefonierte nicht gerne. Hatte er noch nie.

Da es eine Überraschung für die Mutter sein sollte, mit der ganzen Familie essen zu gehen, musste Monika sich darum kümmern. Natürlich. Immer kümmerte sich Monika. Wer sonst?

Kopien rausnehmen, Siegel drauf, zur Unterschrift vorlegen. Im Büro drückte ihr ihr Chef einen Umschlag in die Hand. „Können Sie den bitte heute noch übergeben? Persönlich“, sagte er.

Es klang wie eine Frage. War aber keine. Eigentlich konnte sie nicht. Aber sie musste.

Zeit für dich zu gehen

Sie hatte keine Zeit auch noch den Brief zu überbringen. Nach Feierabend. Lange nach Feierabend! Wie sollte sie das nur schaffen? Sie musste doch noch so viel erledigen.

Monika widmete sich dem letzten Diktat. Zumindest war der letzte Klient des Tages bereits da. Sie tippte so schnell sie konnte. Darunter litt zwar ihre Rechtschreibung, die konnte sie aber auch morgen ausbessern.

Speichern, fertig. Noch ein letzter Blick auf die Mails – nichts Dringendes. Gut. Kaffeegeschirr abräumen, letzte Akten abheften, Tasche packen, los.

Monika klopfte an die Tür ihres Chefs, öffnete einen Spalt. „Ich würde gehen“, sagte sie.

„In Ordnung. Bitte vergessen Sie den Brief nicht“, antwortete der Chef.

Puh, der Brief. Den hätte sie fast liegen gelassen.

„Klar. Schönen Abend.“

„Schönen Abend.“

Schnell zurück zum Schreibtisch, Brief einpacken, los.

Hektik und Stress

Monika hastete die Treppen nach unten. Angesichts ihrer Stöckelschuhe an sich schon riskant genug, suchte sie dabei auf ihrem Handy die Nummer des Restaurants. Hauptsache keine Zeit verlieren.

Die Zieladresse befand sich mitten in der Innenstadt. Mit dem Auto würde sie länger brauchen, einen Parkplatz zu finden, als die Fahrt dauerte. Also zu Fuß.

Unterwegs telefonierte sie mit dem Restaurant. Reservierung stand.

Nach ein paar hundert Meter bog Monika ab Richtung Innenstadt. Mit zunehmender Höhe der Gebäude wurden die Menschen zwischen ihnen immer mehr. Mussten alle jetzt noch einkaufen? Warum waren die Leute nicht zu Hause?

Im Slalom lief Monika durch die Passanten. Leider war sie nicht mehr so leichtfüßig wie mit 14. Dabei war die verlorene Leichtfüßigkeit durchaus wörtlich zu nehmen. Entsprechend oft stieß sie mit jemandem zusammen, murmelte dann eine Entschuldigung, die eher wie ein Vorwurf klang. Egal, weiter.

Es war bereits kurz vor sechs. Würde in der Agentur überhaupt noch jemand da sein? Vermutlich nicht. Wahrscheinlich hatten die schon lange Feierabend.

Ja, Feierabend. War eigentlich vor drei Stunden. Nun war sie immer noch für die Arbeit unterwegs. Also, schnell erledigen und dann um die Familie kümmern.

Falsch ist richtig

Bei ihrer Hetze durch die Fußgängerzone hatte Monika mindestens zweimal einen Ellbogen abbekommen. Würden wieder blaue Flecke werden. Sei’s drum, vergehen wieder.

Endlich kam sie an dem Gebäude an. Wieso hatte man ein Büro mitten in der Stadt, wenn man nichts vor Ort verkaufte?

Monika hastete zum Aufzug, drückte zigmal auf den Knopf als könne sie damit die Fahrt beschleunigen. Endlich öffnete sich die Tür. Schnell hinein. Welches Stockwerk war es nochmal? Firmenschilder gab es im Aufzug nicht.

Der Vierte. Oder Fünfte? Nein, der Vierte. Ganz sicher.

Monika drückte auf die ‚4‘. Kurz durchatmen während der Fahrt nach oben. Die Tür ging auf, Monika hinaus. Erste Tür rechts hatte ihr Chef gesagt.

Zielstrebig steuerte sie darauf zu, drückte gegen den Griff. Überraschend ging die Tür auf.

Vor ihr lag ein großer Raum mit hellem Holzboden, auf dem in einem Halbkreis zehn Matten verteilt waren. Darauf jeweils ein Meditationskissen. Tücher und Gebetsfahnen hingen an den Wänden.

Keine Schreibtische, kein Empfangstresen, keine abgetrennten Büros. Was war das für eine Agentur?

Ein großer schlanker Mann kam auf sie zu. Hellblaue Leinenhose, braunes Leinenhemd. Barfuß. Er lächelte sie an. Seine arktisblauen Augen strahlten eine paradoxe Wärme aus.

Monika wollte ihm den Brief entgegenstrecken, zog ihn dann aber doch zurück. „Ich glaube, ich bin hier falsch“, sagte sie tonlos.

„Wenn du hier bist, bist du richtig!“

Zeit für dich

„Nein. Ich muss mich in der Tür geirrt haben“, sagte Monika.

„Ich glaube, dass genau hier sein sollst“, sagte der Mann.

„Wo bin ich hier überhaupt?“

„Hier wird gleich ein Meditationskurs stattfinden. Ich bin Karsten“, antwortete der Mann und streckte Monika die Hand entgegen.

„Monika“, antwortete sie und schüttelte seine Hand.

„Bitte versteh mich nicht falsch, aber du siehst aus, als würde dir Meditation guttun“, sagte Karsten lächelnd.

„Was? Nein, das ist nichts für mich. Ich hab es nicht so mit Esoterik.“

Karsten lachte. „Meditation ist nicht esoterisch. Also, … natürlich gibt es ein paar Meditationslehrer, die sich sehr ins Esoterische begeben. Ich bleibe aber doch eher auf der weltlichen Seite. Dann ist Meditation eine Möglichkeit, um wahrzunehmen, was ist. Was in dir ist. Zu spüren, wie es dir geht und was du brauchst.“

„In mir ist Stress und ich brauche mehr Zeit“, sagte Monika und drehte sich zur Tür.

„Vor allem brauchst du Zeit für dich!“

„Das wäre schön. Vohrer muss ich aber noch einiges erledigen. Also, danke für die…“

„Warte! Geh ich recht in der Annahme, dass du ein Mensch bist, der sich oft und viel um andere kümmert?“

„Ja, schon.“

„Gut. Das zeigt mir, dass du ein großes Herz hast. Ich vermute auch, dass du deine Bedürfnisse hintenanstellst.“

„Ja, wahrscheinlich“, sagte Monika seufzend.

„Das ist auch nicht verwerflich. Im Gegenteil. Das Problem ist, dass du irgendwann so erschöpft bist, dass du dich um niemanden mehr kümmern kannst. Und dann geht es allen schlecht. Deswegen ist es nötig, dass du dir hin und wieder Zeit für dich gönnst und du dich um dich selbst kümmerst. Zum Beispiel mit Meditation.“

„Da könnte was dran sein. Aber ich weiß nicht, ob Meditation das Richtige für mich ist.“

Erste Meditationserfahrung

„Hast du denn schon einmal meditiert?“, fragte Karsten.

„Nein. Wie gesagt, es war mir zu esoterisch.“

„Lass es uns einfach probieren.“

„Aber, ich habe wirklich keine Zeit.“

„Schenk mir nur noch zwei Minuten“, sagte Karsten mit einem Welpenlächeln.

„Okay, meinetwegen. Was muss ich tun?“

„Setz dich auf dieses Meditationskissen hier.“

„Aber ich muss jetzt nicht diesen Buddhasitz machen, oder?“

Karsten lachte. „Du meinst den Lotussitz. Nein, das ist nicht nötig. Setz dich und überschlag deine Beine locker.“

Statue of Buddha Sitting in front of Pink Petals

Monika setzte sich.

„Gut. Deine Hände kannst du einfach auf deinen Oberschenkeln ablegen. Richte deine Wirbelsäule gerade auf. Schon hast du eine gute Meditationshaltung“

„Okay. Bis jetzt komm ich noch mit.“

„Schwerer wird es nicht, versprochen. Wenn du möchtest, kannst du deine Augen schließen.“ Karsten leitete eine kurze Atemmeditation an. Zum Ende ließ er Monika einige Sekunden in der Stille, bevor er fortfuhr: „Bereite dich langsam darauf vor, diese Meditation zu beenden. Und wenn du so weit bist, kehre wieder ganz in deine Umgebung zurück.“

Monika öffnete die Augen, blinzelte ein paarmal, fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Sie lächelte Karsten an. „Das hat gutgetan.“

Karsten lächelte zurück. „Das freut mich. Und war gar nicht schwer, oder?“

„Nein. Tatsächlich nicht. Jetzt muss ich aber wirklich los“, sagte Monika und stand auf.

Einladung zur Meditation

Karsten und erhob sich ebenfalls. „Ich habe noch einen Platz frei im Kurs. Wenn du möchtest, kannst du noch mitmachen. Dann steigst du einfach nächste Woche ein“, sagte er.

„Puh, gleich ein Kurs. Ich weiß nicht. Wie lange geht der?“

„Der Kurs geht über acht Wochen. Es ist eine Einführung in das Selbstliebekonzept des SL-Lifestyle. Jeden Dienstagabend von halb sieben bis acht. Pass auf, wir machen es so: du probierst diese Woche Meditation einige Male für dich aus. Wenn es dir gefällt, kommst du nächste Woche wieder und machst mit. Dann zahlst du auch nicht den ganzen Preis.“

„Aber, wie kann ich denn Meditation ausprobieren, also ohne Meditationslehrer?“

„Na, einfach meditieren.“

„Haha, sehr witzig.“

„Entschuldige. Aber tatsächlich kannst du einfach meditieren. Egal, ob du gerade beim Einkaufen an der Kasse wartest, du beim Tanken neben der Zapfsäule stehst oder du im Fahrstuhl nach oben fährst. Schließe kurz deine Augen oder schau auf einen bestimmten Punkt, konzentriere dich auf deinen Atem und atme bewusst ein und aus. Mehr ist es nicht.“

„Wirklich, das reicht?“

„Ja, jeder einzelne bewusste Atemzug, in dem du ganz bei deinem Atem bist, ist ein Gewinn. Je mehr, desto besser. Aber für den Anfang reicht ein bewusster Atemzug täglich.“

„Ein bewusster Atemzug pro Tag? Ich glaube, das schaffe ich.“

„Bestimmt!“

„Und, wenn ich Meditation mit Anleitung ausprobieren möchte?“

„Dann nutz einfach das Internet. Da gibt es inzwischen viele angeleitete Meditationen. Für jeden Geschmack, für Anfänger und für langjährig Meditationserfahrene.“

„Kannst du mir was empfehlen?“

„Ich würde dir die Meditationsvideos von SL-Gesundheit auf YouTube empfehlen! Die finde ich inhaltlich gut. Auch Stimme und Tempo der Anleitung sind sehr angenehm!“

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Meditation für Anfänger – Lerne zu Meditieren mit SL-Gesundheit

SL-Gesundheit? Probiere ich aus.“

„Ich bin mir sicher, du wirst es mögen! Und ich hoffe, du kommst nächste Woche!“

Was kostet ein Meditationskurs?

„Was kostet der Meditationskurs eigentlich?“, fragte Monika.

„Insgesamt 256,00 €“, antwortete er. Monika zog Luft ein.

„Pass auf“, sagte Karsten, „da du die erste Stunde verpasst mach ich dir ein spezielles Angebot. Du bekommst von mir vor der nächsten Sitzung eine Einzelstunde, in der ich dir die Grundlagen der Meditation erkläre, was sie bewirkt und so weiter. Die schenke ich dir. Für die restlichen sieben Kursabende zahlst du dann 200,00 €. Wie klingt das?“

„Das klingt nicht schlecht. Ich überlege es mir. Und natürlich muss ich noch mit meinem Mann sprechen.“

„Mach das. Sag ihm das, was ich dir über die Zeit für dich gesagt habe! Du brachst Zeit für dich, um für ihn und alle anderen da sein zu können. Er wird es verstehen!“

„Ich hoffe. Jetzt muss ich aber wirklich los!“, sagte Monika und legte die Hand auf den Türgriff.

„Und vergiss nicht die Meditationen auszuprobieren. Wie gesagt: ich empfehle dir SL-Gesundheit!“

„Werde ich, versprochen! Danke, du hörst von mir.“

„Ich hoffe, ich sehe dich auch zum Kurs!“, sagte Karsten lächelnd.

Monika lächelte zurück, dann verschwand sie durch die Tür.

Zeit verloren doch ein Gewinn für dich

Fast eine viertel Stunde hatte Monika bei Holger verbracht. Es fühlte sich aber nicht wie ein Verlust an. Im Gegenteil. Ihr war, als hätte jemand eine Kerze in ihr entzündet, die sie nun mit Wärme, Energie und sanftem Licht erfüllte.

Beschwingt lief sie die Treppen eine Etage höher. Fehler können auch gut sein.

Die Tür der Agentur war verschlossen. Wie erwartet. Hier war niemand mehr. Laut dem Schild an der Tür bereits seit über einer Stunde. Monika warf den Brief in den Briefkasten. Zugestellt ist zugestellt.

Über die Treppe nach unten, raus, in die nächste Buchhandlung. Schnell das Buch für Sophie besorgt, zum Auto und dann ab nach Hause.

Kurz vor ihr schaltete eine Ampel auf Rot. Eine gute Gelegenheit für einen ersten Versuch. Monika schloss die Augen, konzentrierte sich auf ihren Atem, atmete tief ein und aus. Anstatt wie üblich genervt zu warten, bis die Ampel endlich grün wird, war sie nun entspannt und ruhig. Zufrieden fuhr sie weiter.

Entspannt zu Hause

„Hey Ma, du bist spät. Hast du meine Fußballsachen schon gepackt?“, begrüßte sie Florian, als sie ins Haus kam.

„Nein, habe ich noch nicht. Du kannst dir aber sicher sein, dass sie morgen gepackt sind, wenn du sie brauchst. Und übrigens: Hallo, schön dich zu sehen“, antwortete Monika.

„Ja, klar, hallo“, murmelte Florian und ging in sein Zimmer.

Sophie kam um die Ecke. „Mama, hast du mein…“, setzte sie an, unterbrach den Satz aber, als ihr Monika das Buch vor die Nase hielt. „Perfekt, danke!“, sagte Sophie.

„Bitte, gern geschehen. Und auch schön dich zu sehen.“

Nach dem Essen verschwanden die Kinder in ihren Zimmern, Holger im Hobbykeller.

Monika kümmerte sich um den Abwasch, packte die Fußballsachen für Florian und den Koffer für Holgers Geschäftsreise.

Als sie ins Bett ging, hielt sie kurz Inne. Sie blieb an der Bettkannte sitzen, schloss die Augen, nahm einige tiefe Atemzüge. Sie spürte wieder die gleiche Wärme in ihrem Inneren. Zufrieden legte sie sich ins Bett.

Holger kam aus dem Badezimmer, kroch neben ihr unter die Decke, gab ihr einen Kuss. „Du wirkts heute irgendwie so ruhig. Nicht negativ, eher glücklich“, sagte er.

„Stimmt.“

„Woran liegt’s?“

„Ich hatte heute mal ein wenig Zeit für mich.“

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